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Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung

Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung

Titel: Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
Autoren: Ralf Isau
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übertragen. Nimm nun die meinen, Taramis, und verwende sie gut.«
    In den Augen des Weisen glomm kurz ein geheimnisvolles Leuchten auf, dann brachen sie und wurden starr. Der Griff seiner Hände erschlaffte.
    Taramis war wie gelähmt. Fassungslos sah er erst den toten Freund und danach den Kirrie an, der kaum weniger betroffen wirkte.
    Ari rekelte sich auf der Bank und schlug die Augen auf. Als er den Vater am Boden knien sah, einen alten Mann in den Armen haltend, runzelte er die Stirn. »Onkel Veridas? Ist er eingeschlafen?«
    »Ja«, antwortete Taramis mit bebender Stimme. »Er schläft.« Um seine Tränen zu verbergen, wandte er sich von dem Jungen ab, der aufgehenden Sonne zu. Die letzten Worte des so grausam aus dem Leben gerissenen Freundes hallten wie ein Echo durch seinen Sinn.
    Aus dem Haus ertönte ein Schrei. Es war nicht Shúria, sondern ein schwaches, heiseres Stimmchen.
    Aïschah begrüßte die Welt.
    Unwillkürlich blickte Taramis wieder zum Gebäude und wunderte sich. Wie hinter einem Pergamentschirm sah er durch die Hauswand hindurch ein Licht. Es glühte wie ein Stück Kohle. Da wusste er, dass sein sterbender Freund nicht im Wahn geredet, sondern seine Gabe tatsächlich weitergegeben hatte.
    Es war der Sternensplitter, der schwarze Himmelsstein, der da auf Shúrias Herzen leuchtete.

3. Die Stunde der Gaukler
    I ch finde, es ist ein selten schönes Kind«, sagte Jagur. »Schau nur dieses verschrumpelte Antlitz, Taramis! Wie ein kleiner Engel sieht sie aus.«
    »Aïschah ist keine Kirrie«, brummte der Vater. Er hielt sein in Tüchern eingewickeltes Töchterchen etwas unbeholfen im Arm, hatte er dergleichen doch seit über zehn Jahren nicht mehr getan. Die im vielfarbigen Morgenlicht irisierende Inselsphäre schmeichelte nicht gerade dem zerknitterten Gesicht der Kleinen. Tatsächlich ähnelte sie eher Jagur und Lehi als ihren Eltern. Siath hatte gesagt, das gebe sich bald.
    Sanft streichelte Taramis die Wange des schlafenden Kindes. Ob Aïschah einmal nach ihrer Urgroßmutter schlagen würde? Natürlich hatte er seiner Frau von dem Besuch in Olams Sternenhaus erzählt. War vielleicht deshalb der Name seiner irdischen Urahnin in Shúrias beunruhigendem Traum aufgetaucht? Er konnte sich noch lebhaft an die Schilderungen seines Vaters erinnern, wie dessen Mutter ihn zwischen Disteln und Dornen zur Welt gebracht hatte. Wenigstens solche Unannehmlichkeiten waren Shúria erspart geblieben.
    Ari blickte zur Tür, als die Ganesin mit ihrem Goldmilan unter das Vordach trat. Am Fuß des Greifs war ein Pergamentröllchen befestigt.
    »Hoffentlich findet Tosu deine Schwester«, sagte Taramis.
    »Er würde sie überall auf dieser Insel aufspüren. Sollte Ischáh schon wieder nach Barnea zurückgekehrt sein, ist sie in spätestens zwei Stunden bei uns.« Siath warf den Vogel in die Höhe, und er rauschte davon.
    »Der Tod des Sehers war eine Warnung. Ich bin erst beruhigt, wenn ich euch in Sicherheit weiß. Bereite bitte alles für unsere sofortige Abreise vor. Lehi kann dir zur Hand gehen.« Er wandte sich seinem bärtigen Freund zu. »Du solltest deinen Donnerkeil ebenfalls rufen.«
    Der Kirrie schloss die Augen, um sie gleich darauf zu enormer Größe aufzureißen. »Könnte schwierig werden«, antwortete er mit schwerer Zunge. »Ich hab ein paar Humpen Bier zu viel auf die Geburt deiner Tochter getrunken. Als ich zuletzt meine Fühler nach Aviathan ausgestreckt hatte, war er jagen. Weit draußen im Meer. Zu weit für meinen benebelten Geist, fürchte ich.«
    »Versuch bitte trotzdem, ihn zu erreichen. Wir werden ihn brauchen.«
    »Wir? Du meinst, du und ich?«
    »Wer sonst?«
    »Hattest du nicht gesagt, du wolltest deine Familie auf keinen Fall alleinlassen?«
    »Ja. Und der Gedanke, es dennoch tun zu müssen, bringt mich fast um den Verstand. Aber du hast Veridas gehört. Die Wolke bedroht die ganze Welt, also auch deine Heimat. Shúria und die Kinder sind nirgends sicher, solange wir dem Spuk kein Ende machen.«
    Jagur rülpste. »Das ist mal ein Wort.«
    Seine Frau erschien in der Tür. Sie lächelte müde. Abgesehen von Ari und Aïschah hatte in dieser Nacht niemand geschlafen. »Shúria fragt nach ihrer Familie.«
    »Dann sollten wir sie nicht warten lassen«, sagte Taramis und gab seinem Sohn einen Wink. »Komm, kleiner Löwe. Wir müssen Familienrat halten.«
    Als sie den Wohnraum durchquerten, schielte Ari neugierig zu Veridas hinüber. Taramis hatte ihn auf den großen Esstisch gebettet und ihm
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