Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung

Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung

Titel: Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
die Augen geschlossen. Der Tote sah aus, als schlafe er nur.
    »Nicht trödeln«, ermahnte Taramis den Jungen. Er hätte ihm diesen Anblick gerne erspart. Für Ari war der Seher wie ein Familienmitglied gewesen.
    Im Schlafzimmer wartete Shúria schon ungeduldig auf ihre Lieben. Ihr von der Anstrengung gezeichnetes Gesicht glühte im orangeroten Licht, das durchs offene Fenster in den Raum fiel. Sie ließ sich von Ari und Taramis herzen und nahm dem Vater das Neugeborene ab. Lächelnd bettete sie es an ihre Brust. Erst als ihre Aufmerksamkeit sich wieder den anderen beiden zuwandte, bemerkte sie deren ernste Mienen.
    »Heute ist ein Freudentag. Warum sind meine Männer so griesgrämig?«
    »Hat Lehi es dir noch nicht gesagt?«, fragte Taramis beklommen.
    »Was?«
    Er schluckte. So behutsam wie möglich erzählte er ihr vom plötzlichen Ableben ihres Lehrmeisters. Shúria brach in Tränen aus.
    Aïschah erwachte. Sie spürte wohl die Unruhe ihrer Mutter und fing ebenfalls an zu weinen. Ari legte sich zu den beiden aufs Bett und streichelte sie zärtlich. Seit den Schrecken von Peor hatte er einige Erfahrung im Trösten von Mädchen jeden Alters.
    Taramis widmete sich diesem Unterfangen weniger hingebungsvoll. Die Zeit drängte und daher berichtete er Shúria von dem, was der Seher ihm mitgeteilt hatte. »Ich habe Ischáh rufen lassen«, sagte er schließlich. »Sie wird dich und die Kinder nach Malon bringen. Siath hat versprochen, sich weiter um dich und Aïschah zu kümmern.«
    »Und du?«
    »Ich finde Gaal und schicke ihn ins Haus der Toten.«
    »Was?« , stieß sie entsetzt hervor. »Warum kann das nicht ein anderer tun? Dieser Fischkopf hat uns schon genug Leid zugefügt. Muss erst einer von uns sterben, damit dieser Wahnsinn endlich aufhört?«
    »Ja. Und zwar Gaal.«
    »Wieso immer du, Taramis?« Ihre Stimme bebte, und neue Tränen rollten ihr über die Wangen.
    »Marnas sagte einmal zu mir: ›Fange nie einen Krieg an, den du nicht zu Ende bringen kannst.‹ Zwei Mal habe ich den König von Dagonis bezwungen, ohne ihn zu besiegen. Ich hätte unsere Feindschaft vielleicht nicht als persönliche Fehde betrachten sollen.«
    »Ist sie das etwa nicht? Er hat deine Mutter, Xydia und meinen Vater getötet – deine Braut und deinen Schwiegervater. Ari und mich hätte er auch fast umgebracht.«
    »Du hast ja recht, Schatz. Doch mit der dunklen Wolke ändert sich alles. Das Schicksal von ganz Berith ist mit dem unsrigen verwoben. Es war der Hohepriester – dein Vater, Shúria –, der in mir den verheißenen Jeschurun sah. Und mein eigener Vater hat mir den Stab Ez in die Wiege gelegt. Niemand außer mir ist dazu ausersehen, die dagonisische Plage abzuwenden. Ihr werdet nie in Sicherheit leben können, wenn diese Aufgabe nicht vollbracht ist.«
    »Vielleicht steckt ja gar nicht Gaal hinter den mysteriösen Todesfällen.«
    »Daran gibt es für mich keinerlei Zweifel«, sagte Taramis sanft. »Ich spüre es. Außerdem beweist Veridas’ Tod, dass sich gerade Bochims Drohung erfüllt. Nachdem er sein Schwert in meinen Seelenbaum gerammt hatte, prahlte er damit, wie sein Vater im Garten der Seelen jeden Widersacher nach Belieben töten könne. Und was geschieht, kaum dass Gaal den Reif der Erkenntnis besitzt? Seine Gegner sterben wie die Fliegen.«
    »Aber …«
    »Ich bin sein größter Feind, Shúria. Und du hast in Peor ebenfalls seinen Zorn erregt. Dieses Scheusal könnte sogar aus reiner Rachsucht unsere Kinder umbringen, weil ich seinen Sohn getötet habe. Vielleicht hat er mich bisher nur verschont, um mir in die Augen zu sehen, wenn er Vergeltung an mir übt. Ich muss seine Herausforderung annehmen. Nur so kann ich dieses Ungeheuer ein für alle Mal aus der Welt schaffen.«
    »Ich möchte, dass du zurückkehrst«, sagte Shúria leise. Die Geburt hatte sie geschwächt und ihren Widerstand schneller als üblich erlahmen lassen. »Aïschah soll nicht ohne Vater aufwachsen.«
    »Das wünsche ich mir genauso wie du, Schatz. Ich werde jede unnötige Gefahr meiden. Solange ich euch in Sicherheit weiß, wird es mir an Besonnenheit nicht mangeln. Deshalb müsst ihr die Insel verlassen, sobald Ischáh mit ihrem Donnerkeil hier eintrifft. Auf Barnea seid ihr nicht länger …«
    »Taramis?« Jagurs tiefe Stimme ließ den Gerufenen herumfahren. Der Kirrie stand mit versteinerter Miene in der Tür zum Wohnraum. Die Morgensonne traf ihn von der Seite, was die Furchen auf seinem Gesicht gleichsam in dunkle Abgründe
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher