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Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)

Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)

Titel: Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)
Autoren: Kelly McCullough
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ob das an meinem Handsignal lag oder nur daran, dass er inzwischen genug gesehen hatte, wusste ich nicht.
    Aber jetzt nahm ich die Frau meinerseits ein wenig näher in Augenschein. Triss zog nie etwas so Offensichtliches ab, ohne dafür einen verdammt guten Grund zu haben, immerhin stellte er den vorsichtigen Teil unserer Partnerschaft dar. Außerdem, wie bereits zuvor bemerkt, die Dame war einer genaueren Betrachtung schon ganz aus sich heraus mehr als würdig.
    Groß war sie für eine Frau, vielleicht sogar genauso groß wie ich mit meinen eins achtzig, und ihr Körperbau und ihre Muskulatur passten eher zum Kriegeradel von Zhan als zu der Zofe, für die ihr Kleid sie ausgeben sollte. Ihr Haar war einige Schattierungen dunkler als mein mittelbraunes und doppelt so lang, geflochten zu einem prachtvollen Zopf, der kurz über ihrer Hüfte endete. Ihre Augen waren ebenfalls dunkel, aber die genaue Farbe konnte ich in dem trüben Licht, der eigentliche Anlass, warum ich Gast des Greifen geworden war, nicht erkennen.So oder so, die Schwertschwielen auf der Innenseite ihres linken Daumens waren viel verräterischer als alles andere.
    Damit entpuppte sich das Kleid endgültig als Maskerade. Viel eher gehörte es ihrem Mädchen als ihr selbst. Was mich zu einer interessanten Frage führte: Warum hatte sie, wenn sie wirklich irgendeine unbedeutende Adlige war, nicht einfach ihre Schneiderin beauftragt, ihr ein passendes Kleid anzufertigen? Aber diese Frage war eher ein Ausdruck nichtsnutziger Neugier und kaum von ernsthafter Bedeutung. Mich interessierte nicht, woher ich meine Aufträge bekam. Nicht mehr. Nicht, wenn sie gut genug bezahlt wurden, sodass ich meine Rechnungen begleichen konnte. Außerdem wusste jeder in diesem Gewerbe, dass unsere Auftraggeber nie die Wahrheit sagten.
    Sinn und Zweck bei der Beauftragung eines Löhners war ganz einfach, dass wir zu niemandem gehören und keinem Rechenschaft ablegen müssen. Ein Sonnenseitenlöhner kann Euch im Bedarfsfalle eine gestohlene Halskette wiederbeschaffen, ohne unbequeme Fragen derart zu stellen, wie Ihr sie von den Wachen zu erwarten habt, da diese dem Gesetz und dem Herzog von Tien verpflichtet sind. Fragen wie: Woher habt Ihr die Kette überhaupt? Oder: Wie kommt es, dass sie der Kette so sehr ähnelt, die im letzten Jahr von jemand anderem als gestohlen gemeldet wurde?
    Die Antworten auf die Fragen, die wir hier auf der Schattenseite nicht stellen, liefern noch mehr Anlass zur Sorge. Warum wünscht Ihr, dass ich das stehle? Was ist in der Kiste, dass sie unbedingt um vier Uhr am Morgen zu einem Platz am Hafen gebracht werden muss? Wie kommt es, dass Taurik Langmesser seinen Anteil an Eurem kleinen Geschäft nicht erhalten hat? Was haben die Euch getan, dass Ihr sie verprügeln lassen wollt? Oder, wenn es sich um einen schwarzen Löhner handelt: Warum wollt Ihr ihn tot sehen? Manchmal lieferte der Auftraggeber von sich aus eine Antwort, aber die entsprach nur im seltenstenFall der Wahrheit. Nicht dass das irgendetwas ausgemacht hätte. Meist will ich so oder so nichts weiter wissen. Das ist ein Grund, warum ich Löhner geworden bin. Einen Löhner muss das alles nicht kümmern.
    Nichtsdestotrotz interessierten mich ein paar kleine Narben, dort, wo der Hals meiner potentiellen neuen Auftraggeberin in die rechte Schulter überging, aber das war nur müßige Neugierde. Während ich sie studierte, tat sie das Gleiche mit mir. Der kleinen Falte zwischen ihren Brauen nach zu schließen, war sie nicht sonderlich begeistert von dem, was sie sah. Sie war nicht die Erste, die solch ein Urteil fällte, und sie würde nicht die Letzte sein.
    »Also«, fragte sie einen Moment später, »was für eine Art Löhner bist du?«
    »Ich? Ich bin natürlich ein Schattenlöhner, aber auf keinen Fall ein schwarzer. Ich gehe Risiken ein, wenn der Preis stimmt, und das Gesetz kümmert mich nicht, aber ich lösche niemanden aus für Euch. Oder für irgendjemanden anders.«
    Mit dem blutigen Gewerbe hatte ich abgeschlossen. Triss und ich hatten unseren Anteil an Seelen zu den Hohen Richtern und dem Großen Rad der Wiedergeburt geschickt. Mehr als nur unseren gerechten Anteil.
    Nun nickte sie, die Falte aber blieb. »Ich suche keinen Auftragsmörder, nur einen Boten für eine prekäre Lieferung.«
    Das hörte sich gut an und war, wenn es denn stimmte, vermutlich auch der Grund, warum sie unter den vielen Schattenlöhnern von Tien gerade mich gewählt hatte. Kurierdienste und ihr enger
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