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Die Zeitstraße

Die Zeitstraße

Titel: Die Zeitstraße
Autoren: Kurt Mahr
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vertrackteste Sprache innerhalb weniger Tage nachkonstruieren könne, versagt hier völlig. Vorläufig versteht er noch nicht einmal Wort Nummer eins der sirrhanischen Sprache.
    Mit den Sirrhanern selbst habe ich merkwürdige Erlebnisse, die mich manchmal zweifeln lassen, ob ich dies alles wirklich erlebe. Ob es nicht vielmehr ein gigantischer Alptraum ist, in dessen Fesseln ich seit der Explosion der SIGMA-13 gefangen bin. Die Sirrhaner haben in der Nähe meiner Landestelle ein kleines Dorf. Es besteht aus nicht mehr als fünfzehn hölzernen, strohgedeckten Rundhütten. Ich komme jeden Tag mindestens einmal ins Dorf, um Sprachaufzeichnungen zu machen, die ich dem Translator vorlegen kann.
    Wenn ich auftauche, machen die Sirrhaner freundliche Gesichter – wenigstens kommen sie mir freundlich vor. Wenn ich das Dorf wieder verlasse, wirken sie jedoch überrascht, als sei es ganz undenkbar, daß ich mich jetzt schon wieder entferne. Ihre Sprache klingt äußerst melodisch. Ich würde sie sehr gerne lernen. Aber bislang komme ich infolge der Unfähigkeit des Translators nicht dazu. Unter den Sirrhanern sind die alten Leute von einer seltsamen Trägheit, nicht nur körperlich, sondern anscheinend auch geistig. Ich beobachte viele Fälle, in denen jüngere Leute den älteren Befehle zu geben oder mit ihnen grob zu verfahren scheinen. Erst gestern sah ich einen alten Mann, der mühsam auf einen Baum kletterte, um ein paar Früchte zu pflücken. Ein kleiner Junge (ich nenne ihn einmal so; denn ich weiß vorläufig noch nicht, ob die Sirrhaner zwei verschiedene Geschlechter – oder mehr, oder weniger – kennen) stand unter dem Baum, und nachdem der Alte ihm die Früchte übergeben hatte, schrie er ihn grob an – der Junge den Alten, meine ich.
    Ganz junge Sirrhaner sehe ich nie. Die Babys scheint man irgendwo abseits aufzubewahren.
     
    23. September 3445.
    Ich habe eine merkwürdige Entdeckung gemacht, von der ich noch nicht genau weiß, ob sie wirklich etwas bedeutet oder nicht. Mein Translator hat die Bedeutung der ersten fünf sirrhanischen Wörter erkannt. Es handelt sich dabei um Begriffe, die Gegenstände des täglichen sirrhanischen Gebrauchs bezeichnen, wie etwa Tisch, Hütte, Frucht, und so weiter. Die Sirrhaner kennzeichneten sie, indem sie die Hand auf den Gegenstand legten und gleichzeitig das dazugehörige Wort aussprachen. Die akusto-optischen Aufnahmen, die ich dabei anfertigte, legte ich dem Translator vor.
    Wie ich die Sirrhaner zur Kooperation bewegte, das weiß ich bis heute noch nicht. Wenn ich das Aufnahmegerät vor sie hinstelle und mit den Händen andeute, daß sie sprechen sollen, dann lächeln sie mich meist nur an und gehen gleich wieder fort. Gestern kam einer unversehens auf mich zu, legte, ohne daß ich ihn dazu aufgefordert hätte, die Hand auf die Seitenwand einer Hütte und sagte:
    »Mottom!«
    Ich war meiner Sache nicht ganz sicher, trat ebenfalls an die Hütte heran und berührte sie mit der Hand. Dazu sagte ich:
    »Hütte!«
    Der Sirrhaner grinste mich wortlos an und verschwand. Heute erst stellt sich heraus, daß das Wort tatsächlich »Hütte« bedeutet. Hier sind noch ein paar andere, die der Translator entziffern konnte:
    Belaleb – die Frucht. Ata – der Himmel. Biggib – der Tisch. Olapalo – die Tür oder der Eingang. Das ist alles, was der Translator bislang herausgebracht hat. Wenig genug, nach mehr als sechs Monaten, aber wenigstens ein Anfang. Ich gebe die Worte so wieder, wie sie mir in den Ohren klingen. Die sirrhanische Sprache kennt selbstverständlich eine ganze Reihe von Lauten, die der menschlichen Zunge ungewohnt sind und für die es in unserem Alphabet keine Buchstaben gibt. Das sirrhanische »L« zum Beispiel ist ein Laut, bei dem die Zunge soweit nach hinten gerollt wird, daß sie für den Bruchteil einer Sekunde den Rachen verschließt. Eine Zeitlang war ich nicht sicher, ob ich dieses Geräusch mit »L« oder »D« umschreiben sollte, entschied mich schließlich jedoch für das erstere.
    So – und nun zu meiner eigentlichen Entdeckung. Die einzigen Wörter, die der Translator bislang übersetzen konnte, sind solche, die sich von hinten genauso lesen wie von vorne. Für solche Arten von Wörter gibt es einen besonderen Ausdruck, der mir jedoch im Augenblick nicht einfällt. Mottom zum Beispiel buchstabiert sich m-o-t-t-o-m – gleichgültig, ob man hinten oder vorne anfängt.
    Hat es etwas zu bedeuten, daß der Translator von den Tausenden von Wörtern, die
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