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Die zehnte Kammer

Die zehnte Kammer

Titel: Die zehnte Kammer
Autoren: Glenn Cooper
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berühmten tragischen Liebespaar des Mittelalters. Seit dem 12. Jahrhundert galten die beiden als Sinnbild der großen Liebe. Im 19. Jahrhundert hatte man ihre Gebeine von ihrer ursprünglichen Ruhestätte in Ferreux-Quincey nach Paris gebracht und in einer Art nationalem Denkmal neu bestattet.
    Gatinois schnäuzte sich in sein Taschentuch. Große Liebe, dachte er verächtlich. Das waren doch alles Märchen! Propaganda! Er dachte an seine eigene lieblose Ehe und daran, dass er unbedingt noch ein kleines Geschenk für seine Mätresse besorgen musste. Auch von der hatte er eigentlich genug, aber ein Mann in seiner Position musste auch seine Affären einer strengen Sicherheitsüberprüfung unterziehen lassen. Die Kollegen waren zwar diskret, dennoch konnte er dadurch die Frauen nicht einfach wechseln wie die Unterhemden. Das hätte ein schlechtes Bild abgegeben.
     
    Sein Fahrer fuhr durch die Sicherheitsabsperrung und ließ Gatinois in einem Innenhof des Verteidigungsministeriums aussteigen, wo er durch eine massive Eichentür das ehrwürdige, alte Gebäude betrat.
    La piscine – das Schwimmbad.
    So lautete der Spitzname des Komplexes der DGSE, des französischen Auslandsnachrichtendienstes. Auch wenn sich der Name auf das nahegelegene Schwimmbad Piscine des Tourelles bezog, in dem das Nationalteam trainierte, fand Gatinois die Bezeichnung ziemlich passend. Auch bei der Direction Générale de la Sécurité Extérieure konnte man sich abstrampeln und kam trotzdem nie aus dem Becken heraus.
    Gewissermaßen passte Gatinois nicht so recht zu dieser Organisation, in der er einen der höheren Ränge bekleidete. Einheit 70, deren Chef er war, gehörte zu den kleinsten im ganzen Nachrichtendienst und war mit Sicherheit die geheimste in dieser ohnehin schon äußerst öffentlichkeitsscheuen Organisation.
    Während die Leiter der Strategie-und Nachrichtenabteilung über viel Geld und noch mehr Personal verfügten, fristeten Gatinois und seine Einheit im Vergleich ein Schattendasein: Einheit 70 hatte nur einen kleinen Etat und gerade einmal dreißig Mitarbeiter. Nicht, dass es jemals an finanziellen Mitteln gefehlt hätte. Verglichen allerdings mit der Operativen Einheit, die ein weltweites Netz von Spionen und Agenten zu betreuen hatte, nahmen sie sich eher bescheiden aus. Gatinois erreichte seine Ziele zumeist mit erheblich geringerem Aufwand als andere Abteilungen, und die meisten Aufgaben wurden ohnehin an Regierungs-und Universitätslabors herausgegeben, die in der Regel keine Ahnung hatten, für wen sie arbeiteten.
    Vom Chef der DGSE wusste Gatinois, dass der Verteidigungsminister und selbst der französische Staatspräsident sich mehr für die Arbeit von Einheit 70 interessierten als für die großen Abteilungen des Geheimdienstes. Damit musste der General sich zufriedengeben.
    Die Zentrale von Einheit 70 befand sich in einem aus dem 19. Jahrhundert stammenden Gebäude des Verteidigungsministeriums. Gatinois hatte sich mehrmals erfolgreich dem drohenden Umzug in einen der seelenlosen Neubauten des Komplexes widersetzt, die sich alle glichen wie ein Ei dem anderen. Er liebte die hohen Decken mit ihrem verspielten Stuck und die holzgetäfelten Wände seiner Büros. Dafür nahm er in Kauf, dass die sanitären Einrichtungen sehr viel primitiver waren.
    Der Konferenzraum der Einheit war sehr groß und verfügte über einen riesigen, kristallblitzenden Kronleuchter. Gatinois kam nach einem kurzen Abstecher in seinen privaten Waschraum herein, nickte den versammelten Mitarbeitern kurz zu und nahm dann seinen Platz am Kopfende des langen Tisches ein.
    Zu seinen Ritualen gehörte es, dass er seine Leute erst einmal schweigend dasitzen ließ, während er ihre wöchentlichen Statusberichte durchlas. Obwohl die Leiter der jeweiligen Abteilungen hinterher noch einen mündlichen Bericht über ihre Arbeit abliefern mussten, wollte Gatinois schon vorab wissen, was auf ihn zukam. Rechts von ihm saß sein Stabschef, Colonel Jean-Claude Marolles, ein kleiner, überheblicher Mann mit einem schmalen, exakt gestutzten Schnurrbart. Der Colonel wartete, ob Gatinois Anlass zur Kritik fand, und spielte dabei gelangweilt mit seinem Füller.
    Er brauchte nicht lange zu warten.
    »Warum bin ich darüber nicht informiert worden?«, fragte Gatinois und riss sich die Lesebrille vom Gesicht, als wolle er sie gleich quer durch den Raum schleudern.
    »Worüber, mon Général?«, fragte Marolles leicht gereizt, was Gatinois erst recht in Rage
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