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Die zehnte Kammer

Die zehnte Kammer

Titel: Die zehnte Kammer
Autoren: Glenn Cooper
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das?«
    »Warten Sie, bis die Welt von unserer Entdeckung erfährt, dann kommen die Leute sogar aus Paris hierher«, prahlte Pascal. »Wenn nicht gleich ganz aus London.«
    »Was für eine Entdeckung?«
    Édouard versuchte seinen Cousin zu mäßigen, aber der impulsive junge Mann war nicht zu bremsen. »Wir haben in den Bergen nach seltenen Vögeln gesucht«, erklärte er. »Und dabei sind wir zufällig auf eine Höhle gestoßen.«
    »Wo denn?«
    Während Pascal erklärte, wo die Höhle war, leerte Édouard seinen Cognac auf einen Zug und bestellte gleich noch einen.
    Der Wirt runzelte die Stirn. »Es gibt ’ne Menge Höhlen hier in der Gegend. Was soll denn an der so Besonderes sein?«
    Als Pascal anfing zu erzählen, bemerkte Édouard, wie alle Anwesenden gebannt an seinen Lippen hingen. Auch Édouard, der als Lehrer Pascals Erzähltalent durchaus zu schätzen wusste, hörte ihm aufmerksam zu, wie er mit ausdrucksvollen Worten all die Wunder schilderte, die sie durch Zufall entdeckt hatten.
    Mit geschlossenen Augen rief er sich die Bilder in Erinnerung, die sie im flackernden Licht ihrer Streichhölzer gesehen hatten. Dabei entging ihm, wie der Wirt einem der Gäste hinter ihnen ein verstohlenes Zeichen gab.
    Erst als er ein metallisches Klicken hörte, sah Édouard auf. Der Wirt zog die Oberlippe hoch.
    Sollte das ein Lächeln werden?
    Dann spritzte plötzlich ein dicker Schwall Blut aus Pascals blondem Kopf, und Édouard blieb gerade noch Zeit, erstaunt »Oh!« zu rufen, bevor auch ihm eine Kugel das Hirn zerfetzte.
     
    Im Café roch es nach Schießpulver. Eine Weile herrschte Stille, bis der Mann mit dem Jagdgewehr das Schweigen brach. »Und was machen wir jetzt mit denen?«, fragte er.
    »Bringt sie zu Duvals Bauernhof«, befahl der Wirt. »Dort zerstückelt ihr sie und verfüttert sie an die Schweine. Wenn es dunkel wird, holt ein Pferd und schleppt das Auto weg.«
    »Dann gibt es diese Höhle also wirklich«, sagte der alte Mann leise.
    »Hast du je daran gezweifelt?«, fauchte ihn der Café-Besitzer an. »Ich war immer ganz sicher, dass irgendjemand sie eines Tages entdecken wird.«
    Nun konnte er endlich ausspucken, ohne den Boden seines Lokals zu beschmutzen, denn vor seinen Füßen lag Édouard.
    Eine kräftige Ladung Rotz landete direkt im blutüberströmten Gesicht des Toten.

EINS
    Alles begann mit einem elektrischen Kabel, das im Inneren einer dicken Mauer von Mäusen angeknabbert worden war.
    Das Kabel schlug Funken und verursachte einen Schwelbrand im alten Gebälk aus Kastanienholz. Bald danach drang dichter Rauch aus der im Nordteil des Klosters gelegenen Küche. Tagsüber hätten der Koch, eine der Schwestern oder sogar Abt Menaud den Brand mit dem Feuerlöscher unter der Spüle bekämpft und vermutlich auch gelöscht. Aber es geschah nachts.
    Auf der anderen Seite der Wand befand sich die Bibliothek der Abtei, deren Bücher bis auf eine einzige Ausnahme zwar keine unersetzlichen Werte darstellten, aber ebenso wie die Sarkophage in der Krypta oder die Grabsteine auf dem Friedhof zum historischen Erbe des Klosters gehörten.
    Neben Bibeln und den üblichen kirchengeschichtlichen Texten aus fünf Jahrhunderten gab es dort Werke, in denen die gelebte Geschichte der Abtei festgehalten war: Geburts-und Todesurkunden der Mönche, alte Steuererhebungen, Kontorkladden, Bücher über Medizin und Heilpflanzen und sogar Rezepte für Bier und bestimmte Käsesorten. Der einzige wirklich wertvolle Text war die sogenannte Dijon-Fassung der Regel des heiligen Benedikt aus dem 13. Jahrhundert, eine der ersten Übersetzungen aus dem Lateinischen ins Altfranzösische. Für eine kleine Zisterzienserabtei im Herzen des Périgord war so eine frühe französische Ausgabe der Schrift ihres Schutzheiligen durchaus etwas Besonderes, weshalb das Buch in der Bibliothek einen Ehrenplatz innehatte. Und der befand sich ausgerechnet in dem Regal, das an der brennenden Wand stand.
    Die Bibliothek war ein weitläufiger Raum mit hohen Fenstern und einem Boden aus rechteckigen Steinplatten, der alles andere als eben war. Der Lesetisch in der Mitte brauchte Unterlegkeile, um nicht zu wackeln, und Besucher der Bibliothek mussten möglichst ruhig auf ihren Stühlen sitzen, damit sie sich nicht gegenseitig mit dem Klappern der Stuhlbeine beim Lesen störten.
    Die im Laufe der Zeit zu einem tiefen Schokoladenbraun nachgedunkelten Bücherregale aus Walnussholz waren mehrere hundert Jahre alt und reichten bis zur Decke hinauf. Jetzt
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