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Die zehnte Kammer

Die zehnte Kammer

Titel: Die zehnte Kammer
Autoren: Glenn Cooper
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drangen dichte Rauchschwaden hinter denen hervor, die an der vom Brand betroffenen Wand standen. Hätte Bruder Marcel nicht an einer Vergrößerung der Prostata gelitten, wäre es in dieser Nacht wohl zu einer Katastrophe gekommen. So aber war der alte Mönch im Dormitorium auf der anderen Seite des Klosterhofs direkt gegenüber der Bibliothek nachts aufgewacht und hatte auf dem Weg zur Toilette den Rauch gerochen. Von Arthritis geplagt, war er über den Gang geschlurft und hatte laut »Feuer!« geschrien. Kurz darauf war auch schon der alte Renault-Löschzug der Freiwilligen Feuerwehr die geschotterte Auffahrt zum Kloster Ruac entlanggepoltert.
    Die Feuerwehr war für mehrere Ortschaften am Vézère im Périgord Noir zuständig. Ihr Hauptmann, ein Mann namens Bonnet, stammte aus Ruac und war etliche Jahre älter als die anderen in seinem Zug. Er kannte die Abtei gut. Bonnet betrieb im Hauptberuf ein Café und war mit seinem herrischen Auftreten und dem kugelrunden Bierbauch der typische Wirt und örtliche Kleinunternehmer. Am Eingang zum Bibliotheksflügel stieß er mit Abt Menaud zusammen, der in seinem hastig übergeworfenen weißen Habit und schwarzen Skapulier wie ein verschreckter Pinguin mit den kurzen Armen wedelte und aufgeregt stammelte: »Schnell! Machen Sie schnell! Die Bibliothek!«
    Der Hauptmann warf einen Blick in den rauchgeschwängerten Raum und befahl seinen Männern, die Wasserschläuche auszurollen und anzuschließen.
    »Sie wollen hier doch nicht etwa mit Wasser herumspritzen?«, protestierte der Abt. »Davon gehen ja all die Bücher kaputt!«
    »Und womit soll ich bitte schön das Feuer bekämpfen?«, gab der Hauptmann zurück. »Mit einem Gebet vielleicht?« Er wandte sich an seinen Stellvertreter, einen Automechaniker, der eine deutlich wahrnehmbare Weinfahne hatte. »Die Wand dahinten brennt. Reißt sofort das Bücherregal runter!«
    »Bitte, gehen Sie sorgfältig mit meinen Büchern um!«, flehte der Abt, dem gerade blitzartig klar wurde, dass sich der wertvolle Text des heiligen Benedikt direkt an der brennenden Wand befand. Er rannte an Bonnet und den anderen vorbei, riss den Band aus dem Regal und wiegte ihn wie ein Baby in seinen Armen.
    »Wie soll ich denn arbeiten, wenn der mir ständig dreinpfuscht?«, rief Bonnet melodramatisch aus. »Schafft ihn raus, verdammt! Ich habe hier das Sagen!«
    Einige Mönche, die sich inzwischen in der Bibliothek eingefunden hatten, nahmen ihren Abt bei der Hand und zogen ihn stumm, aber bestimmt hinaus in die rauchgeschwängerte Nachtluft. Bonnet griff höchstpersönlich nach einer Feueraxt, holte Schwung und ließ sie genau dort auf das Bücherregal niedersausen, wo kurz zuvor noch die Dijon-Ausgabe der Benediktsregel gestanden hatte. Bevor die Axt sich ins Holz des Regals grub, zerteilte sie den Rücken eines anderen Buchs und ließ eine Wolke loser Seiten durch den Raum flattern. Bonnet, der mit dem Lesen seit jeher auf Kriegsfuß stand, hatte ein sadistisches Vergnügen daran, seinem Bücherhass endlich einmal hemmungslos freien Lauf zu lassen. Er rief ein paar seiner Leute herbei und ließ sie ebenfalls mit ihren Äxte losschlagen, anschließend zogen sie auf sein Kommando das riesige Bücherregal von der Wand. Während es sich langsam nach vorn neigte, purzelte eine Lawine großer und kleiner Folianten heraus. Dann bekam es vollends Schlagseite und kippte so schnell um, dass sich die Feuerwehrmänner gerade noch in Sicherheit bringen konnten. Als das Regal am Boden lag, trampelten sie mit ihren schweren Stiefeln über die verstreut herumliegenden Bücher und bahnten sich so einen Weg zur brennenden Wand.
    »Los, Männer«, schrie Bonnet, der vor Anstrengung ganz außer Atem war. »Reißt die verdammte Wand ein und haltet mit dem Schlauch kräftig drauf!«
     
    Als der Morgen graute und die Feuerwehrmänner nur noch mit vereinzelten Brandnestern zu kämpfen hatten, durfte der Abt endlich wieder die Bibliothek betreten. Obwohl er erst Mitte sechzig war, schlurfte er wie ein gebrechlicher Greis, der in einer Nacht um Jahrzehnte gealtert war.
    Als er die zerstörten, vom Ruß geschwärzten Regale und den Haufen völlig durchnässter Bücher sah, kamen ihm die Tränen. Durch die Wand, die die Feuerwehrmänner fast vollständig eingerissen hatten, konnte er direkt in die Küche schauen. Warum, so fragte er sich, hatten sie das Feuer nicht von der Küche aus bekämpfen können? Weshalb war es notwendig gewesen, seine Bücher zu ruinieren? Gut,
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