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Die zehnte Kammer

Die zehnte Kammer

Titel: Die zehnte Kammer
Autoren: Glenn Cooper
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wenigstens war die Abtei gerettet worden und niemand ums Leben gekommen. Dafür musste er dem Herrn dankbar sein. Sie würden den Schaden eben beseitigen und weitermachen, so, wie sie es immer getan hatten.
    Bonnet kam durch die Trümmer auf ihn zu und schlug nun wieder versöhnlichere Töne an. »Es tut mir leid, dass ich so barsch war, Dom Menaud«, sagte er. »Aber ich habe nur meine Arbeit gemacht.«
    »Ich weiß, ich weiß«, erwiderte der Abt wie betäubt. »Es ist nur so schrecklich … diese Zerstörung …«
    »Ein Feuer ist nun mal kein Kaffeekränzchen«, sagte Bonnet. »Wir sind hier bald fertig. Wenn Sie wollen, nenne ich Ihnen eine Firma, die Ihnen bei den Aufräumarbeiten hilft. Sie gehört dem Bruder eines meiner Männer aus Montignac.«
    »Vielen Dank, das machen wir schon selbst«, antwortete der Abt und ließ die Blicke über den mit Büchern übersäten Boden wandern. Er bückte sich, um eine vollkommen durchweichte Bibel aus dem 16. Jahrhundert aufzuheben, deren aufgequollener Ledereinband schon leicht nach Schimmel roch. Er wischte mit dem Ärmel seiner Kutte darüber, sah aber dann die Sinnlosigkeit seines Tuns ein und legte die Bibel auf den Lesetisch, den man gegen ein noch intaktes Bücherregal geschoben hatte.
    Als er sich kopfschüttelnd auf den Weg zur Morgenandacht machen wollte, erregte noch etwas anderes seine Aufmerksamkeit.
    In einer Ecke des Raumes lag neben einem Stapel heruntergefallener Folianten ein Buch, das er noch nie gesehen hatte. Das war ziemlich seltsam, denn Dom Menaud, der an der Universität von Paris Theologie studiert hatte, waren die Bücher seiner Bibliothek vertraut wie alte Freunde, die er alle beim Namen kannte.
    Dieses Buch aber war ihm in seinen drei Jahrzehnten als Abt von Ruac noch nie untergekommen, dessen war er sich sicher.
    Einer von Bonnets Leuten, ein schlaksiger, leutseliger Kerl, beobachtete den Abt dabei, wie er das Buch aufhob und eingehend inspizierte.
    »Ein schönes Stück«, sagte der Feuerwehrmann.
    »Das stimmt.«
    »Ich habe es gefunden, müssen Sie wissen«, verkündete der Feuerwehrmann stolz.
    »Wo denn?«
    Der Mann deutete auf die Stelle, wo bis vor kurzem noch die eingerissene Wand gestanden hatte.
    »Genau hier. Drinnen in der Wand. Fast hätte ich es mit meiner Axt kaputt gehauen. Ich habe es rausgezogen und in die Ecke geworfen, weil ich schnell weiterarbeiten musste. Hoffentlich habe ich es dabei nicht schwer lädiert.«
    »In der Wand«, murmelte der Abt. »Interessant.«
    Er musterte das Buch nun noch genauer. Es war ein kleines, aufwändig gearbeitetes Bändchen, nicht viel größer als ein modernes Taschenbuch. Obwohl es nicht viele Seiten hatte, war es ziemlich schwer, wahrscheinlich, weil es sich mit Wasser vollgesogen hatte. Als der Abt es umdrehte, tropfte es wie ein Schwamm.
    Der Einband bestand aus edlem, rötlich gegerbtem Leder, in dessen Mitte das Bild eines Mannes eingeprägt war. Der Mann hatte einen Heiligenschein und trug ein langes, fließendes Mönchsgewand. Aus dem Buchrücken ragten feinstrukturierte Lederrippen. Auf dem mit angelaufenen, silbernen Ecken eingefassten vorderen Deckel befanden sich jeweils fünf erbsengroße, ebenfalls silberne Buchnägel in jeder Ecke, ein fünfter durchbohrte den Körper des Heiligen.
    Auch die Rückseite, auf der sich kein Schmuckbild befand, trug fünf solcher Buchnägel, außerdem wurde das Buch von zwei massiven Silberverschlüssen zusammengehalten.
    Aus diesen ersten Eindrücken folgerte der Abt, dass der Band wohl aus dem 13. oder 14. Jahrhundert stammte, möglicherweise illustriert war und von hohem Wert.
    Aber warum hatte man ihn versteckt?
    »Was haben Sie denn da?« Bonnet hatte sich neben ihn gestellt und schob sein breites, bartstoppeliges Kinn nach vorn wie den Rammsporn eines angreifenden Schiffes. »Lassen Sie mich mal sehen.«
    Der Abt war so erschrocken, dass er dem Feuerwehrhauptmann willfährig das Buch überreichte. Bonnet schob den dicken Nagel seines Zeigefingers unter eine der Schnallen und drückte sie ohne große Anstrengung nach oben. Die zweite Schnalle war ein wenig hartnäckiger, aber auch sie hatte er binnen kurzer Zeit geöffnet. Neugierig wollte Bonnet das Buch aufklappen, aber die Nässe hatte die Pergamentseiten so verklebt, dass es ihm nicht gelang. Frustriert versuchte Bonnet es mit mehr Kraft, aber die Seiten wollten sich nicht voneinander lösen.
    »Halt! Hören Sie auf!«, rief der Abt. »Sie zerreißen es ja. Geben Sie mir sofort das Buch
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