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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition)
Autoren: Ellen Alpsten
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seine menschlichen Reste streiften. Dabei jedoch plauderte ich hartnäckig über Belanglosigkeiten, bis es Peter selber zuviel wurde. Er sagte zornig: »Du und dein verdammter Mut! Wenn meine Generäle sich davon eine Scheibe abschneiden könnten, hätte ich mehr Kriege gewonnen!«
    Wir stiegen wieder in den Schlitten. Ich wagte einen letzten Blick auf Wilhelms enthaupteten Rumpf. Die Pferde zogen an, und die Glocken an den Seiten des Schlittens klirrten, als der Richtblock hinter einer Wolke von Pulverschnee verschwand.
     
    Am Abend desselben Tages verabschiedete ich mich früh von der geselligen Runde in Peters Gemächern. Ich trauerte, ja: aus tiefstem Herzen, in der Dunkelheit und der Stille der Nacht. Aber ich mußte auch meine Kräfte sammeln, um über meine nächsten Schritte nachzudenken. Peter hatte einen Ukas erlassen, der seinen Ministern verbot, einen Befehl von mir zu befolgen. Zudem hatte er das Büro meines Schatzmeisters versiegeln lassen: Ich hatte kein Geld mehr und hatte bereits bei meinen Damen Schulden machen müssen. Die folgenden Tage konnten entscheidend sein: Würde er mich den Folterknechten übergeben? Mich mit eigenen Händen hinrichten, wie er Alexej hingerichtet hatte? Oder wollte er mich etwa kahlscheren und in ein Kloster stecken, wie er es mit Jewdokija Lopuchina getan hatte?
     
    Ich löste meine Haare ohne die Hilfe meiner Frauen und nahm den Schmuck von meinem Hals, meinen Ohren und meinen Handgelenken. Anna Tolstoja schlüpfte in dem Raum, und sie löste schweigend die Verschnürung im Rük ken meines Kleides. Sie half mir in mein Nachtgewand, und ich betrat meinen Schlafraum allein. Einige der Kerzen an den Wänden waren bereits angezündet, was mich erstaunte. Jemand mußte vor mir in dem Gemach gewesen sein! In meiner Hand hielt ich ein Nachtlicht, das ich auf dem zierlich gearbeiteten Nachttisch neben meinem Bett abstellte.
    Meine Hand stockte in ihrer Bewegung. Im nächsten Augenblick hörte ich mich schreien, schreien, wie ich noch nie in meinem Leben geschrien hatte. Das Nachtlicht entglitt meinem Griff und fiel polternd zu Boden. Das heiße Fett floß über den Boden. Die Flamme der umgestürzten Kerze leckte daran, und Feuer ergriff meine Laken. Ich schrie noch mehr, wenn dies denn möglich war.
    Anna Tolstoja stürzte in den Raum: »Meine Herrin, was ist geschehen?« rief sie und beeilte sich, die Flammen zu meinen Füßen auszutreten. Ich konnte mich nicht beruhigen und zeigte nur auf den Nachttisch. Sie schlug nur die Hände vor den Mund: »Oh mein Gott, dieses Tier!« hörte ich sie flüstern.
    Dort, auf meinem Nachttisch stand ein Glas. Es war ein unscheinbares Gefäß, in dem man sonst Äpfel über den Winter in Wodka aufbewahrte. In Sankt Petersburg gab es sie in jedem kabak . Doch in der hellen Flüssigkeit lag kein Obst, sondern der Kopf meines Geliebten. Seine blauen Augen waren weit aufgerissen und seine Lippen im Todesschmerz über seinem Zahnfleisch zurückgezogen. Wilhelm Mons schien mich anzusehen: Sein Blick ruhte flehentlich, aber ohne jede Anklage auf mir. Ich mußte würgen vor Ekel. »Bringe das weg, Anna, bringe das weg!« stammelte ich.
    Sie nahm das Glas mit widerstrebenden Händen auf. Als sie sich umdrehte, stand Peter in der Tür meines Schlafgemaches. Er hielt eine Adlertasse in der Hand und nahm einen kräftigen Schluck daraus. »Dein Raum ist so kahl, Katerinuschka. Da dachte ich, etwas Tand neben deinem Bett kann nicht schaden«, sagte er trunken. Er sah Anna scharf an. »Anna Tolstoja, jeder, der dieses Glas anrührt, soll bei Gott mit seinem Leben dafür bezahlen. Angesichts deiner treuen Dienste empfehle ich dir, es wieder an seinen Platz zu stellen.«
    Anna sah einen Augenblick noch hilfesuchend zu mir, doch was konnte ich tun?
    »Stell es wieder hierher, Anna Tolstoja. Wie gütig von dem Zaren, an den Schmuck meines Zimmers zu denken«, murmelte ich schwach. Peter musterte mich starr. Er streckte seinen Zeigefinger nach mir aus. »Und jetzt, Katharina Alexejewna, werde ich mir überlegen, was mit dir geschehen soll!« Der Ausdruck seiner Augen ließ mich schaudern. Was wollte er noch tun? Er hatte doch bereits gewonnen!
    Irgendwann, unter dem starren Blick meines Geliebten und in den tröstenden Armen Annas, fand der Schlaf der Erschöpfung seinen Weg zu mir.
     
    Der Hof, so spürte ich deutlich, hielt mein Schicksal für besiegelt. Man rätselte nur noch, was genau mit mir geschehen sollte. In welches Kloster wollte man mich senden?
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