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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter
Autoren: Petra Durst-Benning
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keine Szene machen! Cerise nahm sich vor, Julia von Haucke bei der nächstbesten Gelegenheit nochmals zu ermahnen, ein Auge auf Alexander zu haben und dafür zu sorgen, dass er dem Wein nicht allzu sehr zusprach.
    »Und – sind Sie zufrieden, meine Liebe?« Wassili Shukowskis Wangen waren gerötet, die Augen hinter den dicken Brillengläsern leuchteten, als er Anna ein Glas in die Hand drückte. Irgendwo hatte er eine Flasche Birnenbrand aufgetrieben. Die Flüssigkeit glänzte seidig im Glas.
    Anna lächelte. Birnenbrand – Wassilis Heilmittel in allen Lebenslagen …
    »Dasselbe haben Sie mir bei unserem ersten Treffen im Wolf und Béranger auch verabreicht, erinnern Sie sich? Sie waren todtraurig, weil Ihr Freund Puschkin gestorben war. Und ich war ebenfalls schrecklich verzweifelt. Der Zar hatte so große Hoffnungen in mich gesetzt, ich jedoch kam bei Olly keinen Schritt weiter, sie war verstockt wie ein Fisch!«
    Der alte Mann lachte. »Und schauen Sie nur, was aus dem verstockten Fisch geworden ist. Sie strahlt von innen heraus wie eine Heilige. Ist es nicht so: Nur wer auch den Schatten kennt, weiß die Sonne zu schätzen.«
    Anna lachte. »Dass Olly ins Sonnenlicht kommt, war höchste Zeit. Möge sie für immer und ewig vom Glück bestrahlt werden.«
    »Davonbin ich überzeugt, schauen Sie doch nur, wie verliebt der Prinz die Großfürstin anschaut. Davon einmal abgesehen wird unsere Zarentochter eine würdige Vertreterin Russlands sein, wo immer sie erscheint. Woran Sie keinen unerheblichen Anteil haben, meine Liebe. Sie dürfen wirklich stolz auf sich sein.«
    Anna nickte. Das war sie auch. Stolz und glücklich.
    »Auch in deiner Straße wird es einmal ein Fest geben«, murmelte sie leise vor sich hin.
    Hatte sich Großmutters Sprichwort am Ende doch als richtig her ausgestellt.

31. KAPITEL
    A ls Olly aufwachte, wusste sie einen Moment lang nicht, wo sie war. Berlin? Würzburg? Heilbronn?
    Sie warf einen Blick auf den kleinen Kalender, den Anna ihr zum Abschied geschenkt hatte. Darin waren die Tage nach der julianischen Zeitrechnung angegeben, so wie sie dies zeitlebens gewohnt war. Unter dem jeweiligen Wochentag stand jedoch außerdem das Datum nach der gregorianischen Zeitrechnung, welche ihr zukünftiges Leben bestimmen würde. Laut dem gregorianischen Kalender war heute der dreiundzwanzigste September.
    Über drei Wochen waren sie nun schon unterwegs. Jede Nacht ein anderes Bett, andere Wirtsleute, eine andere Tafel. Da war es doch kein Wunder, wenn man den Überblick verlor. Das Essen fremd, die Dialekte ebenfalls. Für Olly hatten die gutturalen Laute, die sie seit einigen Tagen zu hören bekam, nichts mit der Sprache zu tun, die sie einst gelernt hatte und die am preußischen Hof ihres Onkels gesprochen wurde. Dieses Kauderwelsch sollte Deutsch sein? Zu ihrem Entsetzen sprachen die wenigsten Menschen, denen sie begegnete, Französisch. Wie also sollte sie sich unterhalten, fragte sie sich verzagt. Doch weitere Gedanken verschwendete sie an das Sprachproblem nicht, dazu war die Reise viel zu anstrengend. An manchen Abenden war sie so erschöpft gewesen, dass sie, ohne etwas zu essen, direkt ins Bett gegangen war. Wo immer möglich, hatte Karl für sie ein heißes Bad herrichten lassen – eine Wohltat für ihreKnochen, die durch die endlosen Stunden auf der Straße kräftig durchgerüttelt waren. Mehrmals am Tag hatten sie die Kutsche wechseln müssen, nicht jedes Gefährt war zu ihrer Zufriedenheit gefedert gewesen. Schon seit Tagen tat Ollys unterer Rücken weh, ihr Nacken war verspannt, und ihre rechte Hand hatte sie sich auch verstaucht, als ihre Kutsche vor drei Tagen in einem Schlammloch steckengeblieben war.
    Wie gut, dass sie Grand Folie diese Strapaze erspart hatte, dachte sie nicht zum ersten Mal. Bei Anna hatte es ihr alter Weggefährte aus Kinderzeiten viel besser.
    Anna … Ihr Hündchen … Sascha und ihre lieben Eltern. Bevor eine Woge Heimweh sie überfiel, widmete sich Olly erneut ihren Reiseeindrücken. Vor allem die letzten Tage hatten es ihr sehr angetan.
    Württemberg war ein schönes Land. Seine Landschaften waren viel abwechslungsreicher als Russlands steppenartige Wiesenflächen, auf denen hie und da ein paar verstreute Birken standen. Nach und nach hatte sich das weiße Blatt »Württemberg« vor ihrem inneren Auge in ein farbiges Bild mit Weinbergen, lieblichen Tälern und satten Wiesen verwandelt, auf denen gutgenährte Kühe standen. Und zwischendrin dunkelbraun
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