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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter
Autoren: Petra Durst-Benning
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Nikolaus wäre nach vorn gestürmt, um Olly aus den Armen ihres unbeholfenen Ehemannes zu retten. Stattdessen erlaubte er den anderen Gästen per Handzeichen, nun ebenfalls die Tanzfläche zu erobern. Den auffordernden Blick seiner Gattin ignorierend, nahm er einen tiefen Schluck Wein und lehnte sich zurück. Die Zeiten, in denen er das Tanzbein geschwungen hatte, waren endgültig vorbei.
    Was für ein Tag! Sein kleines Mädchen verheiratet. Seine Olga. Die Beste von allen.
    Während sich immer mehr Paare im Takt der Musik wiegten, spürte Nikolaus, dass er von einer leisen Melancholie überfallen würde. Der Gedanke, seine Lieblingstochter an Württemberg zu verlieren, war hart. Wehe, Karl würde sich nicht gut um sie kümmern! Er würde ihm sämtliche Knochen brechen.
    Andererseits war die Hochzeit politisch gesehen von großer Wichtigkeit, seine Beobachter berichteten schon seit einigen Jahren über besorgniserregende Entwicklungen in Württemberg: Kommunale Selbstverwaltung. Bürgerlicher Liberalismus. Eine demokratische Monarchie!
    Scheinbar konnten sich unter König Wilhelm allzu liberale Kräfte entfalten. Dass ein Monarch nur noch unter Mitwirkung verschiedener Parteien zu regieren vermochte, war etwas, was sich Nikolaus’ Verständnis völlig entzog. Einer musste doch die absolute Kontrolle über das große Ganze haben! Und dies konnte niemand anderes sein als der Monarch, der durch Gottes Gnade seinem Land vorstand.
    Demokratie! Sozialismus! Der Ruf nach einer Revolution! Es war höchste Zeit, dass der schwache König Wilhelm abgelöst wurde, bevor sich die »württembergische Krankheit«, wie Nikolaus es nannte, in weitere Länder ausbreiten konnte. Nicht, dass er dabei Angst um Russland gehabt hätte. Natürlich wusste er, dass es auch in seinem Land nach wie vor Geheimzirkel gab, in denen man sich diese Schimpfwörter zuraunte. Zu seinem Ärger bewegten sich in diesen Kreisen nicht wenige Literaten. Dabei – war er nicht immer ein Förderer der Literatur gewesen? Und wie dankten Fjodor Dostojewski, Iwan Turgenjew, Nikolai Gogol und all die anderen Schreiberlinge esihm? Sie beklagten in doppeldeutigen Werken das »armselige Dasein« der Bauern, die der Willkür »boshafter Beamter« ausgesetzt waren. Andere forderten in geheimen Pamphleten sogar die Befreiung der Bauern, faselten über Agrar- und Gemeindesozialismus und andere Utopien. Hielten diese Männer ihn, den Zaren, für dumm? Er wusste doch am besten, was machbar war und was nicht. Durch Tagträume und Utopien war jedenfalls noch kein Land gut regiert worden, so viel stand fest!
    Nikolaus seufzte tief auf. Er würde über neue Formen der Zensur nachdenken müssen, bevor es in Russland zuging wie im kleinen Württemberg, wo anscheinend schon Rufe nach einer Revolution laut wurden.
    Das Orchester spielte einen Tusch, Karl verbeugte sich tief vor Olga und unter dem skeptischen Blick von Nikolaus begann das Brautpaar einen neuen Solotanz.
    Der Zar mochte Karl. Sehr sogar. Aber er hatte ihn in den ver gangenen Wochen leider auch als verträumten Phantasten kennengelernt, der mehr Energie auf die Baupläne seiner Villa verwendete als auf alles andere. Angesprochen auf die geheimen, revolutionären Umtriebe in Württemberg, hatte er nur mit den Schultern gezuckt und gemeint, gegen den Wandel der Zeit könne man wohl nichts machen.
    In diesem Moment war Nikolaus klargeworden, wie wenig Eindruck die Zurschaustellung militärischer Stärke auf den Schwiegersohn gemacht hatte. Die prachtvollen Uniformen, die edlen Pferde, der perfekte Gleichklang der Zarengarde, die großen Paraden auf dem Marsfeld – vergebliche Liebesmüh!
    Umso wichtiger würde Ollys Einfluss sein. Als Zarentochter hatte sie ihr ganzes Leben lang miterlebt, dass sich Macht immer auf den Spitzen von Bajonetten gründete. Dieses Wissen würde sie auch als Königin von Württemberg in sich tragen. Und sie würde dem Gatten mit sicherer Hand und geführt von Gott den richtigen Weg weisen – hatte sie damit hier, auf der großen Tanzfläche des Peterhofer Tanzsaales, nicht längst begonnen?
    Nikolaus lachte befreit auf.
    Einso schönes Kleid wie das, welches Olly zu ihrer Hochzeit trug, hatte Mary noch nie gesehen: feinste weiße Atlasseide, bestickt mit Aberhunderten von Brillanten, die bei jeder Bewegung herrlich glitzerten.
    Auf ihrem Brautkleid waren einst lediglich Rubine und Rosenquarze aufgenäht worden sowie Blumen aus Silberfäden. Ihre Frisur war lediglich von einem kleinen
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