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Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Autoren: Tullio Avoledo
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–, auf einen Händler. Er war der einzige Überlebende einer aus Ravenna stammenden Karawane, deren fünf Wagen wenige Kilometer von unserem Außenposten entfernt in einen Hinterhalt gerieten. Der Händler konnte sich in ein Gebäude retten, einen alten Bunker an der Küste, dessen Stahltür barmherzigerweise offen stand. Ich rede von Barmherzigkeit, weil ich hier die Hand Gottes erkenne, die eingegriffen hat, um jenen Mann vor dem Tod zu bewahren.«
    Hier unten erwähnen wir Gott nicht sehr oft, nur bei den Ritualen und Gebeten. Man könnte meinen, wir hätten unseren Glauben in Abschnitte eingeteilt: Bei bestimmten Gelegenheiten wenden wir uns an Gott, aber im alltäglichen Leben denken wir nur selten an Ihn.
    Der Kardinal trinkt Tee. Ich halte das Glas in der Hand und bewundere die Reinheit des Wassers durchs Glas.
    »Als die Schweizergardisten ihn fanden, war der arme Kerl halb verhungert und völlig verängstigt. Drei Nächte lang hat er draußen die Kreaturen gehört, wie sie um den Bunker schlichen. In der ersten Nacht machten die Wesen, die der Händler nicht beschreiben konnte, einen Festschmaus aus der Karawane. In der zweiten versuchten sie, die Tür des Bunkers aufzubrechen. In der dritten schienen sie verschwunden zu sein, doch als sich der Mann nach draußen wagte, wäre es einem auf der Lauer liegenden Geschöpf beinahe gelungen, ihn zu überwältigen. Als die Gardisten ihn entdeckten, hatte ihn das Entsetzen fast um den Verstand gebracht.«
    Das kann ich mir gut vorstellen. Wir alle haben Geschichten über die Kreaturen der Nacht gehört. Es ist fast so, als hätten wir sie mit eigenen Augen gesehen. Seit Jahren treiben sie sich in unseren Albträumen herum.
    »Bevor er starb, hat er den Gardisten etwas Unglaubliches erzählt. Im Norden von Ravenna gibt es angeblich eine von Gespenstern bewohnte Stadt.«
    »Solche Legenden sind weit verbreitet. Auch in Rom sollen …«
    »Bitte unterbrechen Sie mich nicht, Pater John.«
    »Entschuldigen Sie.«
    »Worauf es ankommt, sind nicht die Gespenster. Der Händler hat noch etwas anderes erwähnt, etwas, dem die Gardisten zunächst keine Beachtung schenkten. Er war nie selbst an jenem Ort, aber die Bewohner eines Dorfes in der Nähe von Ravenna – die Leute, die ihm von den Gespenstern erzählt hatten – sprachen auch davon, dass die Geister jemanden in den unterirdischen Gewölben der Stadt gefangen halten, einen hochrangigen kirchlichen Würdenträger.«
    Albani legt eine Pause ein, um seinen nächsten Worten Nachdruck zu verleihen.
    »Offenbar handelt es sich um den Patriarchen, und die Stadt ist Venedig.«
    Venedig …
    Ich habe Venedig nie gesehen.
    Obwohl ich die Hälfte meines Lebens in Italien verbracht habe. Aber es ist die falsche Hälfte gewesen, für Reisen nicht geeignet. Das Wort »Tourismus« hat sich derselben Kategorie hinzugefügt, die auch Begriffe wie »Hippogryph« und »Einhorn« enthält. »Venedig« ist für mich gleichbedeutend mit Atlantis. Mythische Stadt einer verlorenen Vergangenheit.
    Ich bin vor dreiundzwanzig Jahren von Boston nach Rom gekommen. Damals war ich noch Student des St. John’s Seminary, und die Studienreise nach Italien hätte nicht länger als ein Jahr dauern sollen. Doch nach nur sechs Monaten brach der Krieg aus, und nach dem Krieg war Boston so unerreichbar wie der Mond. Die heiligen Weihen habe ich hier unten empfangen, zwei Jahre nach dem Leid. Eine knappe Zeremonie, ganz anders, als ich sie mir vorgestellt hatte.
    Von Italien habe ich nur wenig gesehen: den einen oder anderen Strand an der Küste Latiums, Neapel, Pompeji … Heute ist die ganze Welt ein großes Pompeji. Asche und Dunkelheit. Es heißt, damals beim Ausbruch des Vesuvs hätte die emporgeschleuderte Aschewolke den Tag zur Nacht gemacht. Heute ist die ganze Erde in ein Leichentuch aus dunklen Wolken gehüllt. In unserer Welt – beziehungsweise in dem Teil, den wir von ihr sehen – herrscht Finsternis. Es wäre schön, sich vorzustellen, dass es woanders noch blauen Himmel gibt, Gras und Meere voller Leben. Doch das ist nur ein Traum. Die Wissenschaftler haben dies lange vorausgesehen und nuklearen Winter genannt. Es gab Bücher und Filme darüber. Aber so etwas zu erleben ist etwas ganz anderes.
    Ich schüttele den Kopf. »Es wird viel erzählt …«
    »Dies ist kein Gerücht. Die Schilderungen des Händlers enthalten zahlreiche Einzelheiten.«
    »Es ist eine Geschichte, die auf anderen Geschichten basiert. Ravenna ist ein ganzes Stück von
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