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Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Autoren: Tullio Avoledo
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schaffst.«
    Ich schaue zum Schlitten, dessen Ladung von einer schwarzen Plane umhüllt ist. Es war nicht leicht, ihn bis hierher zu ziehen.
    »Ja, ich schaffe es«, erwidere ich.
    Alessia winkt den an der Reling stehenden Passagieren zu. Nur wenige von ihnen erwidern die Geste; die meisten scheinen mit ihren Gedanken schon ganz woanders zu sein.
    »Bevor ich gehe …«
    »Ja?«
    »Ich habe etwas für dich«, sage ich.
    Ich greife in die Tasche und hole den Ring des Fischers hervor, verborgen in der Hand.
    Als ich die Hand öffnen will, legt Alessia ihre darauf.
    »Es ist kein passendes Geschenk für mich. Ich danke dir, John.«
    »Du hast es nicht einmal gesehen.«
    »Ich weiß, was es ist und was es bedeutet. Glaub mir, der Ring steht mir nicht zu. Gib ihn dem Mann zurück, dem er gehört. Und sieh nur …«
    Sie bückt sich und streckt die Hand in den Schnee. Als sie sich wieder aufrichtet, glänzt ein goldener Ring zwischen ihren Fingern, gekrönt von einem großen Rubin, der von kleineren Edelsteinen umgeben ist.
    Sie legt mir den Ring auf die Hand. Sand klebt an ihm, und er fühlt sich kalt an.
    Alessia bückt sich erneut.
    »Über Jahrhunderte hinweg begab sich der regierende Doge von Venedig am Himmelfahrtstag mit seinem vergoldeten Schiff, dem Bucintoro , hierher. Andere Schiffe folgten ihm, und es wurde die Vermählung Venedigs mit dem Meer gefeiert. Der Doge ließ einen Ring ins Wasser fallen und sprach dabei die Worte: Desponsamus te, mare, in signum veri perpetuique domini. ›Wir heiraten dich, Meer, zum Zeichen wahrer und ewiger Herrschaft.‹«
    Sie steckt beide Hände in den Sand.
    Als die Hände wieder zum Vorschein kommen, gewölbt zusammengelegt, ruhen zwei prächtige Ringe in ihnen.
    Alessia zeigt sie mir, holt dann mit der Hand aus und wirft die Ringe weit weg.
    »Du kannst dir so viele nehmen, wie du willst. Sie bedeuten nichts. Als Kind …«
    Sie spricht nicht weiter.
    »Ja?«, frage ich.
    »Als Kind war ich sehr arm. Sehr arm und sehr dumm. Jetzt habe ich alles. Der Palazzo …«
    »Dein Palazzo?«
    Alessia lacht. »Es ist nicht meiner. Ich habe ihn mir nur genommen. Ich hätte mir auch irgendeinen anderen nehmen können, aber er gefiel mir. Ich habe ihn wegen all der hübschen Objekte aus Glas gewählt.«
    »Das Mädchen im Gewölbe ist nicht deine Schwester?«
    »Nein.«
    Die beiden Schiffe legen ab und gleiten davon, ihr Segel von einem plötzlichen Wind aufgebläht.
    »Ich glaube, eines Tages wird der Himmel wieder blau sein«, murmelt Alessia.
    »Das glaube ich auch. Und an dem Tag wirst du hier sein und ihn sehen.«
    »Du auch.«
    Ich lächele.
    »Natürlich«, sage ich und wende den Blick ab, denn ich möchte nicht, dass Alessia meine Tränen sieht.
    Ich öffne die Faust.
    Zwei Ringe liegen auf meiner Hand.
    Das Siegel des Papstes und der Ring des Dogen.
    Beides Symbole der Macht.
    Aber als ich sie genauer betrachte, sehe ich nur wertlosen Tand aus einer zu Ende gegangenen Epoche.
    »Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, es ist alles ganz eitel.«
    Ich hebe die Hand, hole nach hinten aus.
    Und dann werfe ich die Ringe fort, mit meiner ganzen Kraft.
    Etwa zwanzig Meter von uns entfernt fallen sie ins Wasser.
    Ringförmige Wellen entstehen, breiten sich aus und verschwinden.
    Ich straffe die Schultern. Es wird Zeit, an meine neue Mission zu denken.
    Der Weg nach Süden ist ohne Hindernisse. Es genügt, dem Verlauf der Küste zu folgen. Wenn der richtige Moment kommt, in einigen Wochen, wende ich mich nach Westen. Bis dahin brauche ich weder Karten noch einen Kompass. Auf dem gefrorenen Sand sollte ich gut vorankommen, und die alte Küstenlinie auf der rechten Seite weist mir den Weg. Die Venezianer haben den Schlitten so gebaut, dass er sich auf dem festen Sand leicht ziehen lässt. Der Geist eines alten Bootsbauers hat sie bei der Arbeit beraten.
    Ich streiche mit der Hand über die schwarze Plane, unter der die Atombombe liegt, bereit für den Einsatz.
    Ich hätte sie in Durands Hummer laden können, der vollgetankt dastand. Oder ich hätte versuchen können, mit Gottschalls riesigem Lastwagen loszufahren. Doch meine Reise ist auch eine Art Buße, und deshalb möchte ich zu Fuß gehen. Das gibt mir Zeit, über die Richtigkeit meiner Entscheidung nachzudenken und sie eventuell zu ändern. Vielleicht gelangt Gott – mein alter Gott, dessen Stimme ich nie gehört habe – zu dem Schluss, dass es die Mühe lohnt, mit mir zu sprechen. Wenn ich auf Seinen Rat verzichten muss,
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