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Die Würfel Gottes

Titel: Die Würfel Gottes
Autoren: Mark Alpert
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Jahren arbeitete. Einschließlich seiner Einheitlichen Feldtheorie.«
    In genau diesem Augenblick brach eine von Hans’ Rippen. Auf seiner linken Seite am äußeren Bogen, wo die Belastung am größten war. Der Schmerz fuhr ihm wie ein Messer durch die Brust, und er öffnete den Mund, um zu schreien, konnte aber nicht einmal dafür genug Luft holen. O Gott, Gott im Himmel! Ganz plötzlich bekam er Angst, schreckliche Angst! Weil er verstand, was dieser Fremde von ihm wollte, und er wusste, dass er ihm am Ende nichts mehr entgegenzusetzen hätte.
    Endlich nahm Simon seine Hand von Hans’ Brust, und der Druck ließ nach. Hans machte einen tiefen Atemzug, und während die Luft in seine Lunge rauschte, spürte er wieder diesen Schmerz in seiner linken Seite wie einen Messerstich. Sein Rippenfell war gerissen, was bedeutete, dass sein linker Lungenflügel bald in sich zusammenfallen würde. Er weinte vor Schmerzen und erschauerte mit jedem Atemzug. Simon stand über ihm, hatte die Hände in die Hüften gestemmt und lächelte zufrieden. Das Ergebnis seiner Arbeit konnte sich sehen lassen. »Verstehen wir uns jetzt? Ist Ihnen klar, wonach ich suche?«
    Hans nickte und schloss die Augen. Tut mir leid, Herr Doktor, dachte er. Ich werde Sie gleich im Stich lassen. Und er sah den Professor wieder vor seinem geistigen Auge, sah ihn so deutlich, als stünde der große Mann direkt vor ihm im Badezimmer. Aber er sah nicht so aus wie auf den Bildern, die alle kannten, die Fotografien des ungepflegten Genies mit den wilden weißen Haaren. Hans erinnerte sich an den Professor in den letzten Monaten seines Lebens. Die eingefallenen Wangen, die tief liegenden Augen, das niedergeschlagene Gesicht. Der Mann, der einen Blick auf die Wahrheit geworfen hatte, sie aber nicht aussprechen durfte.

    Hans spürte, wie er in die Seite getreten wurde, direkt unterhalb seiner gebrochenen Rippe. Der Schmerz fuhr durch seinen Oberkörper, und seine Augen gingen mit einem Ruck auf. Einer von Simons Lederstiefeln ruhte auf Kleinmans nackter Hüfte. »Zum Schlafen ist keine Zeit«, sagte er. »Wir haben noch einiges zu tun. Ich werde jetzt ein paar Blatt Papier von Ihrem Schreibtisch holen, und Sie werden alles für mich aufschreiben.« Er drehte sich um und ging aus dem Badezimmer. »Falls ich irgendwas nicht verstehe, werden Sie es mir erklären. Wie in einem Seminar, stimmt’s? Wer weiß, vielleicht macht es Ihnen sogar ein bisschen Spaß.«
    Simon ging durch den Flur ins Schlafzimmer. Einen Augenblick später hörte Hans, wie dort herumgestöbert wurde. Jetzt, da der Fremde nicht mehr zu sehen war, verzog sich Hans’ Furcht zum Teil, und er war wieder in der Lage nachzudenken, wenigstens bis der Dreckskerl zurückkam. Und das, worüber er nachdachte, waren die Stiefel seines Peinigers, seine glänzenden schwarzen SA-Stiefel. Hans spürte Ekel in sich aufsteigen. Der Mann versuchte wie ein Nazi auszusehen. Und im Wesentlichen war er das auch, ein Nazi, der sich von den Schlägern in den braunen Uniformen kaum unterschied, die Hans im Alter von sieben Jahren durch die Straßen Frankfurts hatte marschieren sehen. Und die Leute, für die Simon arbeitete, diese namenlosen »Klienten«? Was sollten sie schon anderes sein als Nazis?
    Simon kam zurück und hielt einen Kugelschreiber in der einen und einen Notizblock in der anderen Hand. »Okay«, sagte er, »von Anfang an. Ich möchte, dass Sie die revidierte Feldgleichung aufschreiben.«
    Er beugte sich vor und hielt Hans Stift und Block hin, ein Angebot, das dieser ausschlug. Ein Lungenflügel kollabierte, und jeder Atemzug war eine Qual, aber er würde diesem Nazi nicht helfen. »Geh zum Teufel«, krächzte er.
    Simon schaute ihn leicht tadelnd an, wie man einen Fünfjährigen
anschaut, der sich schlecht benimmt. »Wissen Sie, was ich glaube, Dr. Kleinman? Ich glaube, Sie brauchen noch ein Bad.«
    Mit einer raschen Bewegung packte er Hans und tauchte ihn wieder unter Wasser. Und wieder kämpfte dieser darum, mit dem Kopf an die Oberfläche zu kommen, wobei er verzweifelt gegen die Innenwände der Badewanne schlug und sich in die Arme des Peinigers verkrallte. Das zweite Mal war sogar noch schrecklicher als das erste, weil Hans genau wusste, was ihm bevorstand: die Qual der wachsenden Beklemmung, die hektischen Verdrehungen, der stumpfe Abstieg in die Schwärze.
    Dieses Mal stürzte Hans tiefer in die Bewusstlosigkeit ab. Es bedurfte einer gewaltigen Anstrengung, wieder aus dem Abgrund emporzusteigen,
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