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Die Wildnis

Die Wildnis

Titel: Die Wildnis
Autoren: Chris Golden , Tim Lebbon
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sprach Jack einen mürrischen Matrosen an – einen bleichen, mageren Kerl, etwa 30 –, der sich vorbeidrängeln wollte, obwohl Jack ihn aufhielt. »Wo ist der Pier?«
    Der Mann riss seinen Arm aus Jacks Griff. »In Dyea gibt’s kein Pier, Junge. Ihr landet am Strand an.«
    Shepard räusperte sich und klang wie ein zorniger Bär, während er den Mann am Handgelenk packte. »Moment mal. Das ist doch völliger Wahnsinn! Es wird doch Stunden dauern, um die ganze Fracht aus dem Laderaum zu holen, zu sortieren und vom Strand wegzubringen. Bis dahin ist schon längst die Flut da!«
    Die Augen des Matrosen blitzten bedrohlich auf, und er sah auf Shepards Hand hinab, die ihn festhielt.
    »John …?«, setzte Jack an und blickte sich um, ob ihnen noch jemand bedrohlich werden könnte. Mit einer Hand griff er sich an den Rücken, wo er ein kleines Messer in einer Scheide am Gürtel versteckt hatte.
    Shepard löste den Griff, aber ließ sich nicht abwimmeln.
    Der Matrose grinste. »Wenn ihr euch Sorgen wegen der Flut macht, dann würde ich mich mal beeilen.«
    Und damit eilte er durch die Menge davon. Viele der Passagiere schienen von diesem kleinen Detail gewusst zu haben, andere erfuhren es erst jetzt, und ein Chor von Beschwerden erhob sich auf Deck, aber jetzt konnte man nichts mehr daran ändern. Sie waren schon zu weit gekommen und hatten zu viel Geld ausgegeben, um jetzt kehrtzumachen.Wenn Jack schon die Reisevorbereitungen überstürzt gefunden hatte, so war das alles nichts gegen das völlige Chaos, das ausbrach, als die über vierhundert Passagiere an Bord der Umatilla gleichzeitig versuchten, ihre Ausrüstung und ihren Proviant an den Strand und von dort ans höher gelegene Ufer zu bringen. Die Möchtegern-Goldgräber, die in der Presse die »Landstürmer« getauft worden waren, fluchten und stritten um die Plätze an Bord der vielen kleinen Boote, die die Menschen und ihr Gepäck an Land brachten.
    Viele der Männer und Frauen an Bord waren offenbar schon während der Fahrt lustlos und apathisch geworden, andere schienen sich ihr Vorhaben jetzt erst anders zu überlegen. Jack hingegen hätte am liebsten vor Freude laut losgesungen, als er und Shepard endlich in einem kleinen Ruderboot saßen und ihr Gepäck mit ihren allernötigsten Sachen festhielten. Obwohl es erst Anfang August war, wurde es hier oben schon kühl, doch die Aufregung des Abenteuers wärmte Jack innerlich.
    Während der letzten Tage in San Francisco hatte Jack mit Shepards Geld Ausrüstung und Proviant gekauft. Wetterfeste Kleidung war ein Muss: dicke Fäustlinge, Mützen, Pelzmäntel und –hosen, warme Unterhosen, Stiefel mit griffiger Sohle und Riemen, um sie oben gegen Wasser und Schnee abzudichten. Er kaufte Werkzeug, mit dem sie Bäume fällen sowie Boote und Blockhütten bauen konnten, Dosenproviant für ein Jahr – getrocknet, eingemacht oder eingelegt. Die Campingausrüstung war überlebenswichtig, und Jack hatte genug Geld, um von allem zwei zu kaufen. Zelte, Decken, Spaten, Bodenplanen, und die wichtigen Klondike-Öfen, tragbare Schwedenöfen, die sie beim Kampieren wärmen, ihr Essen kochen und Licht spenden würden.
    Außerdem hatte er seine Bücher dabei, die ihm alles bedeuteten. Ohne zumindest ein Buch von Hermann Melville verreiste Jack nicht, und diesmal hatte er Moby Dick im Gepäck dabei.
    Er atmete die Luft Alaskas ein und schnupperte dabei den Duft der Wildnis. Nach acht Tagen an Bord der Umatilla war er bereit, es mit dem Chilkoot-Pass aufzunehmen. Sämtliche Vorbereitungen hier in Dyea würden ihn nur noch unruhiger machen, endlich loszukommen. Hätte er noch am selben Tag losziehen können, wenn er alles Gepäck zurückließ, hätte er es ohne Zögern getan. Denn er war ins Nordland gereist, um alles zu wagen und sich von keinem Hindernis aufhalten zu lassen, aber nur ein Narr nahm unnötige Risiken auf sich.
    Lieber vorsichtig und klug bleiben. Zu viel hing von dieser Expedition ab. Ein Lächeln machte sich auf seinen Lippen breit, als das Ruderboot den Strand von Dyea erreichte. Jack machte zwei Schritte – an das Schaukeln der Wellen hatte er sich schon längst gewöhnt –, dann stand er zum ersten Mal nach einer Woche wieder auf dem Festland. Er drehte sich um und sah Shepard aus dem Boot steigen. Er wollte seinem Schwager schon seine Hand reichen, doch dann machte er sich klar, dass der sie niemals annehmen würde. Es wäre ein Zeichen von Schwäche gewesen. Sobald er die Füße auf festem Boden hatte, warf
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