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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre
Autoren: Will Berthold
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er, harmlos, nicht so schlimm wie die Leber …
    »Schön ist es nicht …«, begann Silbermann umständlich.
    »Nun sprich endlich!« fuhr ihn Ritt an.
    »Dein Sohn hat wohl die Nerven verloren – und entgegen dem Befehl eine Stellung geräumt …«
    Zuerst begriff ihn der Wehrwirtschaftsführer nicht, dann erfaßte er langsam, was ihm Martin angetan hatte, ihm persönlich und dem Reich.
    »Ein idiotischer General besteht auf einer Kriegsgerichtsverhandlung, die in den nächsten Tagen stattfindet, wenn wir nichts unternehmen. Nun läßt dich der Gauleiter fragen – ob du …«
    Silbermann schwieg, betrachtete den alten Ritt, der geduckt am Kamin kauerte und in das Feuer starrte. Wieder will er nichts selbst tun, dachte der Hoheitsträger, wieder soll ich für ihn in das Feuer greifen, wie damals, als ich die Juden für ihn laufenließ, die Kahns, Mitbesitzer der von ihm arisierten Firma … Und warum? Warum wohl? Weil er ihre Verwandten erpreßte – und Devisen, keine Reichsmark, in die Schweiz verschob – wer weiß wieviel? Aber mich hast du nicht hereingelegt, ich kenne deinen Verbindungsmann Panetzky – und eines Tages, sei es nach dem Sieg oder dem Zusammenbruch, werden wir noch einmal davon sprechen, Pg. Ritt!
    »Was soll ich eigentlich bei der Sache?« fragte der alte Ritt.
    »Wenn du willst«, antwortete Silbermann, »bringt der Gauleiter die Geschichte in Ordnung.«
    Auch Martin hat mich also verraten, dachte der alte Ritt. Auch er will nicht für den Vater eintreten. Er spürte Haß, den die Angst nährte und der so stark wucherte, daß er jede andere Empfindung auslöschte.
    »Du bist also einverstanden?«
    »Womit?«
    »Mit einer Intervention beim Kriegsgericht …«
    »Warum?«
    »Dir zuliebe …«
    »Weshalb?«
    »Es ist dein Sohn«, antwortete Silbermann.
    »Und wenn schon …«
    »Wir können ihn retten.«
    »Einen Lumpen?« fragte der alte Ritt. »Einen Verräter …«
    »Es ehrt dich, Kamerad Ritt«, sagte der Hoheitsträger, den die Härte dem eigenen Sohn gegenüber abstieß, wie er überhaupt für elegantere Lösungen war, als sie der totale Krieg in letzter Zeit mit sich brachte. »Du hast genug für die Bewegung getan – wenn wir mehr solche Gefolgsleute hätten wie dich –, aber du sollst nicht auch noch deinen Sohn …«
    »Nein!« bellte Ritt. Über sein eingefallenes morsches Gesicht geisterten wieder Schein und Schatten.
    »Er ist dein Einziger«, sagte Silbermann leise.
    »Wer den Tod in Ehren fürchtet …«, brüllte Ritt.
    Dem Mann mit dem Birnenkopf wurde der alte Ritt unheimlich. Ein Verrückter, dachte er, einer, der die Zeichen der Zeit nicht begreift und vor Torschluß auch noch den eigenen Sohn vor die Hunde gehen läßt. Es war seine Idee gewesen, den jungen Ritt zu retten, die nun zu seiner Blamage beim Gauleiter werden würde. Er raffte seine Akten zusammen, griff nach dem Mantel, hielt ihn mit gestreckten Armen wie einen Schild vor sich.
    »Heil Hitler!« sagte er halblaut, aber das übliche Echo blieb aus.

III
    Dicke Schneeflocken wirbelten gegen die Fensterscheiben des Warschauer Feldgerichts, das an diesem lichtlosen Januartag 1944 über sieben Angeklagte zu befinden hatte.
    Hauptmann Ritt war der zweite. Er betrat, von zwei Posten flankiert, den Raum, grüßte, während er zum Vorsitzenden, Kriegsgerichtsrat Dr. Schiele, geführt wurde, der ihm mit großen grünen Basedowaugen mehr unwillig als neugierig entgegensah.
    Ein untersetzter Obergefreiter mit dickem rundem Kopf begegnete ihm; der Mann war, soeben verurteilt, mit fünf Jahren Wehrmachtsstrafe davongekommen und strahlte vor Glück. Dieses Glück sah so aus, daß er, zu einem Strafbataillon versetzt, bei halber Verpflegung, in vorderer Linie, und unbewaffnet dem Feind ausgesetzt, Stellungen und Gräben ausheben mußte; es war ein Todesurteil, das von den russischen Gewehren vollzogen werden würde.
    Mir, dachte Martin, wird man schon Kugeln eigener Herkunft zubilligen. Er hatte einen klaren Befehl bewußt übertreten und sich in der Voruntersuchung auf keine Ausrede verstanden. Er hatte nicht das namenlose Schicksal eines Obergefreiten, den der Kriegsrichter noch einmal laufenließ – er war das Alibi eines Generals, der sich seinerseits wiederum gegenüber dem Oberkommando zu versichern hatte; auch in der Etappe hatte einer für den anderen einzustehen – wie vorn, nur anders.
    Martin dachte daran, und auf seinen Lippen platzte der Spott.
    »An Ihrer Stelle«, empfing ihn der
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