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Die Wiedergeburt

Die Wiedergeburt

Titel: Die Wiedergeburt
Autoren: Brigitte Melzer
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beharrte die Stimme. Aber doch nicht durch einen Sturz. Noch ist das Kreuz nicht zerstört! Natürlich! Kein Vampyr würde dabei umkommen – schon gar nicht Lucian Mondragon!
    »Er hat uns Zeit erkauft«, sagte sie leise, und als Bothwell nickte, fiel die Starre endgültig von ihr ab. »Dann sollten wir sie nutzen.«
    Sie griff nach dem Pergament und begann den nächsten Vers zu rezitieren. Anfangs stockend, flossen die Worte bald sicher und deutlich aus ihrem Mund. Am Ende des Abschnitts griff sie nach dem vorletzten Tiegel und entkorkte ihn. Der Geruch von Minze überlagerte ein darunterliegendes, bitteres Aroma. Schnell kippte sie das grobkörnige Pulver in die Schale, und noch während die Mischung darin zischte und dampfte, blickte sie erneut auf das Pergament.
     
    *
     
    Fühlte es sich so an, im Fegefeuer zu schmoren und auf ewig Qualen zu erleiden? Aber wenn dies die Hölle war, warum war es dann so finster? Wo waren die Feuer? Womöglich war er der Verdammnis noch nicht anheimgefallen – allerdings fühlte es sich so an, als sei er nahe daran.
    MACH ENDLICH DIE AUGEN AUF! Andrejs zorniges Brüllen hallte in Lucians Geist wider und zwang ihn, der Aufforderung Folge zu leisten. Doch als Lucian schließlich die Augen öffnete, war es so finster wie zuvor. Lediglich am Rande seines Gesichtsfeldes glaubte er einen schmalen Streifen Helligkeit zu erkennen.
    Als er den Kopf zur Seite drehte, wusste er nicht, ob er es aus freien Stücken tat oder ob Andrej ihn dazu drängte. Kalter Stein schrammte über seine Wange und brachte ihm seine Erinnerung zurück. Dies war nicht die Hölle, sondern der Glockenturm von St. Giles!
    Selbst die geringste Bewegung seines Kopfes sandte einen kaum zu ertragenden Schmerz durch seinen Körper. Er bezweifelte, dass es auch nur einen Knochen in seinem Leib gab, der beim Aufprall nicht zerschmettert worden war. Als es ihm endlich gelang, den Kopf zu drehen, entdeckte er das Licht einer Laterne, die Robert bei ihrer Ankunft am Fuße der Treppe zurückgelassen hatte. Wie lange war das her? Schlagartig wurde ihm bewusst, dass er keine Ahnung hatte, wie lange er schon hier lag. Es konnte noch nicht viel Zeit verstrichen sein, andernfalls wären seine gebrochenen Knochen längst geheilt. Dann erinnerte er sich jedoch an die Gegenwart des Schwarzen Kreuzes. Die Reliquie machte ihn nicht nur verwundbar, sie verlangsamte auch den Heilungsprozess auf qualvolle Weise. Er glaubte zu spüren, wie sich die Knochen verschoben und dabei den Schmerz ins Unermessliche anwachsen ließen.
    In den Tiefen seines Verstandes vernahm Lucian das schadenfrohe Gelächter seines Bruders, der nur darauf wartete, die Oberhand zu gewinnen. Er blinzelte gegen die Schwärze an, die ihn von allen Seiten zu umzingeln schien und ihm die Besinnung zu rauben drohte. Wenn er den Kampf verlor, würde Andrej sich einmal mehr seiner bemächtigen. Alexandra brauchte Zeit! Er musste ihn so lange wie möglich hier halten.
    DU BIST NOCH VERRÜCKTER, ALS ICH DACHTE, hörte er Andrej sagen. EIN KLUGER ZUG, DICH MIT MIR IN DIE TIEFE ZU STÜRZEN. DOCH ES WIRD DIR NICHT HELFEN. WAS HAST DU JETZT GEWONNEN – ABGESEHEN VON DEM LÄCHERLICHEN BISSCHEN ZEIT? DU BIST ZU SCHWACH, UM MICH LÄNGER IM ZAUM ZU HALTEN.
    Lucian kämpfte darum, nicht die Besinnung zu verlieren und sich zu konzentrieren, doch Andrej hatte recht – er war zu angeschlagen, um länger gegen ihn bestehen zu können. Er spürte, wie sein eigenes Bewusstsein mehr und mehr zur Seite geschoben und in einen Winkel seines Verstandes gedrängt wurde, während Andrej immer mehr Raum einnahm.
    DAS MUSS WIRKLICH WEHTUN, bemerkte dieser hämisch. WAS FÜR EIN GLÜCK, DASS ICH DICH ZWAR KONTROLLIEREN KANN, ABER NICHT FÜHLEN MUSS, WAS DU FÜHLST. ZUMINDEST NICHT, WENN ICH ES NICHT WILL – UND IM AUGENBLICK MÖCHTE ICH DAS BESTIMMT NICHT!
    Andrejs Wille zwang Lucian auf die Beine. Die Schreie, die er ausstieß, als er sich langsam hochstemmte, entstammten Lucians Seele, doch die Gnadenlosigkeit, die ihn zwang, sich in Bewegung zu setzen, war die seines Bruders. Seine gebrochenen Handgelenke knickten ein, als er sich abzustützen versuchte. Brüllend vor Qual stürzte er zu Boden. Beim Aufprall ging eine weitere Welle des Schmerzes durch seinen Körper. Seine Sinne schwanden, und er hätte das Bewusstsein verloren, hätte Andrej ihn nicht mit seinem Gebrüll in die Wirklichkeit zurückgezerrt.
    STEH AUF!, trieb er ihn an. SEI NICHT SO EIN WEICHLING!
    Die Macht, die nach seinem
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