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Die Wiedergeburt

Die Wiedergeburt

Titel: Die Wiedergeburt
Autoren: Brigitte Melzer
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Erfüllung ging. »Bitte, Robert.« Es war das erste Mal, dass sie ihn beim Vornamen nannte, und zum ersten Mal erschien er ihr nicht wie ein Feind.
    »Also gut«, stimmte er endlich zu. »Gehen wir.« Alexandra schüttelte den Kopf. »Ich gehe allein. Bitte sehen Sie nach Gavril.«
    Sein Blick wanderte über den Boden. »Vermutlich sollte ich auch zusehen, dass ich die anderen fessle, ehe einer von ihnen eine Dummheit begehen kann. Kommen Sie, ich bringe Sie noch zur Treppe.« Er führte Alexandra bis zum Treppenabsatz. Statt ihr seinen Arm zu entziehen, musterte er sie noch einmal kritisch. »Muss ich fürchten, dass Sie mir die Treppen hinunterfallen?«
    »Ich stütze mich ab und gehe langsam. Versprochen.« Bothwell nickte und gab sie frei. Dann sah er nach Gavril. Einen Moment noch hielt Alexandra inne und beobachtete, wie er neben dem jungen Jäger niederkniete. Erst als er aufblickte und langsam den Kopf schüttelte, wandte sie sich ab. Gavril hatte seine Liebe zu ihr mit dem Leben bezahlt. War Lucian der Nächste? Würde sie auch ihm den Tod bringen, wie es die Zigeunerin vorhergesagt hatte?
    An die Wand gestützt, machte sie sich auf den langen Weg nach unten. Bei jedem Schritt konnte sie Lucian daliegen sehen. Reglos, mit zerschmetterten Gliedern.
     
    *
     
    Stöhnend öffnete Lucian die Augen, nicht in der Lage, auch nur einen Finger zu rühren. Etwas war anders. Es war still. Nicht nur in seinem Kopf, wo Andrejs Stimme verstummt war, sondern auch um ihn herum.
    Mit seinen Sinnen kehrte die Erinnerung daran zurück, wie Andrejs Essenz aus seinem Leib gerissen worden war. In dem Augenblick, als es niemanden mehr gab, der versuchte, die Kontrolle über seinen Körper zu erlangen, hatte er endgültig das Bewusstsein verloren. Was war geschehen? Die Frage quälte ihn ebenso sehr wie der Schmerz, der ihn bis in die letzte Faser durchdrang. War die Stille ein gutes Zeichen oder verhieß sie das Ende?
    Warum war er überhaupt zu sich gekommen? Die Qualen, die ihm das Bewusstsein geraubt hatten, tobten noch immer durch seinen Körper, und der Schmerz hätte ihn noch länger von der Welt fernhalten müssen. Doch das tat er nicht. Es dauerte einen Moment, ehe er begriff, warum dem so war. Seine Knochen bewegten sich weitaus schneller als zuvor. Das war es, was ihn aus seiner Ohnmacht geweckt hatte! Splitter fügten sich knirschend zusammen, wurden zu fester Knochenmasse, die seinen Körper schon bald wieder tragen würden. Alles ging erstaunlich schnell. So schnell, als … als wären das Kreuz und der Splitter nicht mehr hier.
    Da begriff er, dass Alexandra es geschafft hatte. Es musste so sein! Andere Gedanken, die ebenfalls erklären konnten, warum sein zerschmetterter Leib nun schneller heilte, ließ er ebenso wenig zu wie die Bilder, die ihm Alexandra als tot vorgaukeln wollten, während Andrej mit dem Kreuz entkommen war.
    Ungeachtet der Schmerzen, die ihn noch immer umklammert hielten, setzte er sich auf und beobachtete, wie sich seine Hand veränderte. Hatte sie wenige Augenblicke zuvor noch in einem vollkommen falschen Winkel schlaff vom Gelenk gehangen, so korrigierte sich der Winkel jetzt. Plötzlich konnte er die Hand wieder bewegen, ebenso seinen Arm und das linke Bein. Auch die übrigen Knochen wuchsen in atemberaubender Geschwindigkeit zusammen. Ein Anblick, der ihn für den Schmerz entschädigte. Schließlich war er so weit wieder hergestellt, dass er aufstehen konnte. Noch ein wenig unsicher kam er auf die Beine, als er Alexandra erblickte. Sie war am Fuß der Treppen stehen geblieben und betrachtete ihn voller Sorge.
    »Es geht mir gut«, sagte Lucian sofort, um ihr die Angst zu nehmen.
    Da nahm sie die Hand von der Wand und wankte auf ihn zu. Mit jedem Schritt wurde sie schneller, bis sie ihm schließlich in die Arme fiel. Lucian hielt sie fest und zog sie an sich. Sie roch nach Rauch und den Extrakten verschiedenster Kräuter, darunter jedoch fand er ihren vertrauten, natürlichen Duft und sog ihn ein.
    »Du bist wirklich unglaublich«, flüsterte er und küsste sie auf die verrußte Stirn.
    Alexandra schloss die Augen und lehnte sich an ihn. Er spürte ihre Erschöpfung, ihren Schmerz und die Erleichterung. All das übertrug sich auf ihn und veranlasste ihn, sie nur noch fester in die Arme zu schließen.
    Erst viel später, als die Qualen, die in seinem Körper gewütet hatten, längst der Vergangenheit angehörten, gab er sie wieder frei – und das nur widerwillig. Die Schritte jedoch, die
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