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Die Wesen (German Edition)

Die Wesen (German Edition)

Titel: Die Wesen (German Edition)
Autoren: Philip Lux
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und holte eine Nachbildung des dreizehn Meter langen, rotweiß gewebten Gürtels und rollte ihn ab.
    „Lielvardes Gürtel“, sagte er. „Lielvarde ist in der Mythologie unseres Landes die Stadt der Weisen. All ihr Wissen haben sie in diesem Gürtel festgehalten. Unsere Dainas wurden, neben der mündlichen Überlieferung, in einer Art Morsecode in Schnüre geknotet. Dieser Code war eine der ersten Schriften. Aus diesen Knotenschnüren wurde schließlich der Gürtel. Er erzählt die Geschichte der Welt von Anbeginn. Genau wie unsere Dainas. Teile des Gürtels fanden sich auch auf dem Stein wieder. Dazu neue Teile, die uns bis jetzt gefehlt haben.“
    „Sie können die Symbole des Gürtels lesen?“
    „Im Prinzip kann es jeder. Nur haben wir es verlernt. Ich konnte es schon immer. Seit meiner Kindheit. Die Zeichen verwandeln sich in dreidimensionale Symbole. Ein Kreis, wenn er sich um seine Achse dreht, bildet eine Kugel. Ein Quadrat, wenn sie es optisch auf sich zukommen lassen, bildet einen Würfel. Das Feuerkreuz, das die Nazis für sich vereinnahmten, ist ein mächtiges Symbol. Deshalb suchten sie es sich aus. Verbindet man die Ecken mit dem erhöhten Mittelpunkt, entsteht eine Pyramide. Spiegelt man diese Pyramide, also bildet man eine weitere Pyramide in die andere Richtung, entsteht ein Oktaeder, ein achtflächiger Diamant. Die offenen Stellen im Hakenkreuz deuten eine Dynamik an, eine Rotation. Dieses Oktaeder dreht sich also.“
    „Heilige Geometrie!“, sagte Laima.
    „Sie haben davon gehört?“
    „Die fünf platonischen Körper: Tetraeder, Würfel, Oktaeder, Dodekaeder, Ikosaeder. Aber was bedeutet der Kreis? Wo ist die Kugel?“
    „Diese fünf Körper finden sich in allen Formen wieder. Der Kreis ist die Perfektion allen Seins. Der Anfang ohne Ende. Genau hier kommen wir zum Fund der Scheibe. Auf der Scheibe waren die Zeichen, die auch auf dem Gürtel sind, um ein weiteres Bild angeordnet. Ein Symbol, das seit Langem unter Forschern einen Schlüssel darstellt. Es wurde überall auf der Welt gefunden. In den Pyramiden von Gizeh, in indischen Tempeln, in europäischen Kirchen, in Höhlen in Amerika und Afrika. Immer war es neben traditionellen, für die jeweilige Kultur spezifischen Symbolen zu finden. Es unterscheidet sich aber grundsätzlich von allen, sodass es keiner Kultur im Einzelnen zugeschrieben werden konnte. Es nennt sich die Blume des Lebens. Eine geometrische Anordnung von Kreisen, die sich überschneiden, eingefasst in einen dreifachen Kreis. Die Blume des Lebens, weil sich zum einen alle platonischen Körper darin wiederfinden, zum anderen es die Entstehung des Lebens wiedergibt.“
    „Wie ist das zu verstehen?“
    „Die ersten zwei Kreise im Zentrum bilden die vesica piscis, die Fischblase. Beide Kreise verlaufen jeweils durch die Mitte des anderen. Die Fischblase entsteht auch bei der Zellteilung. Genauer bei der Teilung der Eizelle nach der Befruchtung. Alle weiteren Teilungen der Zellen verlaufen nach dem Muster der Blume des Lebens. Legt man die Blume des Lebens über die verschiedenen Stadien des Prozesses, so decken sie sich in jeder Phase haargenau. Sie stellt das Prinzip des Universums überhaupt dar. Das ist bereits bekannt. Aber auf dieser Abbildung der Blume des Lebens war ein winziger Punkt markiert. Soweit ich den Symbolen auf dem Rand entnehmen konnte, weist dieser Punkt auf den Ursprung allen Wissens hin.“
    „Den Glasberg?“
    „Alles passt zusammen. Die Antwort auf alle Fragen. Der Ursprung allen Seins. Ich werde ihnen noch etwas zeigen. Aber vorher ...“
    Er hielt den ausgestreckten Zeigefinger vor seinen Mundschutz, als legte er ihn sich auf die Lippen. Dann nahm er eine CD und schob sie in eine kleine Kompaktanlage, die hinter ihm auf der Fensterbank stand. Wagners Nibelungenring erschallte, sodass man kaum sein eigenes Wort verstand. Dann drückte er auf den Knopf eines kleinen Gerätes. Ein rotes Lämpchen begann, unregelmäßig zu pulsieren.
    „Ein Störsender“, sagte er zu Laima gebeugt.
    Dann holte er ein Foto hervor und reichte es ihr.
    „Die Blume des Lebens in einem Kornfeld“, sagte Laima, als sie das Foto betrachtete. „Kornkreise? Glauben sie wirklich daran, Professor? Sind die nicht von Menschen gemacht?“
    „Mit einer solchen Präzision ist das schwer möglich. Dieser Kornkreis hat fast einen halben Kilometer Durchmesser. Er liegt auf der Spitze eines Hügels. Auf schiefem Untergrund. Er ist verzerrt. Nur aus der Luft sieht er absolut
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