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Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann

Titel: Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann
Autoren: Arnulf: Zitelmann
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Ihre Dynamik, die veränderliche Vorherrschaft des einen oder des anderen, erklärt
     den Fluss der Ereignisse. »Einmal Yin, einmal Yang, das ist das Tao«, heißt es im I-Ching, dem chinesischen »Buch der |24| Wandlungen« aus dem 7. oder 6. Jahrhundert vor unserer Zeit, das ursprünglich nur aus 64 Hexagrammen bestand und den Chinesen
     bis in unser Jahrhundert hinein als Wahrsage- und Orakelbuch dient. Seine Passung, seinen Platz in der materiellen und geistigen
     Welt, findet der Weise in der inneren Ausgewogenheit. Und indem er sich dem kosmischen Rhythmus von Yin und Yang anvertraut,
     widersteht er zugleich dem Anpassungsdruck der herrschenden Verhältnisse.
    Gegen die Herrscher, für das Volk
    Während Heraklit in Griechenland zur gleichen Zeit den Krieg zum »Vater aller Dinge« erklärte, hören wir vom chinesischen
     Weisen: »Ein Balkenstarker nimmt kein gutes Ende! Das soll der Ausgangspunkt meiner Lehre sein.« Die »Balkenstarken« – das
     war die feudale Oberschicht.
    Die Masse des Volkes darbte zu Laotses Zeiten. Fast 90 Prozent der Bevölkerung waren Bauern. Um ihren Herren ein glänzendes
     Leben zu gewährleisten, mussten sie endlos schuften. »Die Bauern pflügen im Frühjahr, jäten im Sommer das Unkraut, ernten
     im Herbst und lagern im Winter die Ernte ein. Sie schneiden Unterholz und Bäume als Brennmaterial und leisten Arbeitsdienst
     für die Regierung. Während des ganzen Jahres können sie keinen einzigen Ruhetag einlegen.« Und um ihre Abgaben an die Lehnsherren,
     die »Balkenstarken«, bezahlen zu können, »müssen die Bauern ihre Besitztümer zum halben Preis weggeben, und wer mittellos
     ist, muss sich Geld zu einem Zinssatz von 200 Prozent leihen. Schließlich müssen sie ihre Felder und Unterkünfte veräußern
     oder ihre Kinder und Enkel als Sklaven verkaufen, um die Schulden zurückzuzahlen«. So schilderte ein zeitgenössischer Chronist
     das harte Leben der chinesischen Bauern. Laotse reagierte darauf mit öffentlichem Tadel.
    »Sind des Adels Höfe wohl versehen, siehst du die Felder voll Unkraut stehen. Sind auch die Scheunen leer, kommen sie in bunten
     Kleidern daher: Am Gürtel das prunkende Schwert, von Trank und Speise beschwert, mit Luxusgütern ohne Ende voll die beiden
     Hände: Das nenne ich Banditen-Allüren, solche Leute kann Tao nicht führen!« Schuld am Unglück des Volkes war die Oberschicht:
     »Nur darum hungert das Volk, weil die da oben zu viel Steuern fressen, nur darum hungert es. Nur davon wird ein Land unregierbar,
     wenn die da oben sich in alles einmischen, nur dadurch wird ein Land unregierbar.«
    |25| Aus dieser Zeit stammt die folgende Erzählung: »Als Kaiser Tschou Essstäbchen aus Elfenbein verlangte, ahnte sein Minister
     nichts Gutes. Denn wer mit Elfenbeinstäbchen isst, dem werden irdene Schüsseln nicht mehr genügen. Er wird Schalen aus Jade
     verlangen. Und statt Reis und Gemüse wird er das zarte Fleisch von Leoparden-Jungen oder von Elefantenschwänzen fordern. Das
     raue Alltagskleid wird er verschmähen und kostbare Seide wünschen. Ein Strohdach wird ihm zu gering sein und er wird in prächtigen
     Gemächern wohnen. Wo soll das alles hinführen, dachte der Minister, als der Kaiser Essstäbchen aus Elfenbein verlangte. Schon
     fünf Jahre später war Tschou ein gefürchteter Gewaltherrscher, der seine Untertanen grausam quälte. Berge von Fleisch häuften
     sich auf seiner Tafel, und es floss so viel Wein, dass man damit einen Teich hätte füllen können. So kam es schließlich zu
     seinem sicheren Fall.« Die sozialkritischen Passagen des Tao Te King lesen sich wie ein Kommentar zu dieser Geschichte. Wo
     waren die Zeiten der »vollkommenen Natur« geblieben? Als die Menschen noch auf ihr inneres Gleichgewicht achteten? Als es
     noch keinen Unterschied zwischen Volk und Adel gab?
    Das vollkommene Wesen ist weiblich und männlich zugleich. Aber die »balkenstarken« Herren vernachlässigten die weibliche Seite
     ihrer Natur und verursachten so ein Ungleichgewicht. Gewinnt das Yang die Oberhand, entsteht Aggressivität. Typisch dafür
     sind zum Beispiel das männliche Imponiergehabe, der Egoismus, die Rechthaberei, das Streben nach Macht, Ruhm und Ehre, der
     Herrscherwille. Ohne das Yin kann und darf das Yang nicht bestehen, da die männliche Seite die Welt im Alleingang ins Unglück
     stürzt und selbst untergeht. Denn: »Wer auf den Zehen steht, hält sich nicht. Wer mit gespreizten Beinen geht, eilt sich nicht;
     wer sich
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