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Die Weltenwanderer

Die Weltenwanderer

Titel: Die Weltenwanderer
Autoren: Liane Sons
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schlug ganz in der Nähe zu, ein kleines Licht wippte in der Dunkelheit, und Schritte waren zu hören. Ein hagerer Mann ließ den Strahl seiner Taschenlampe auf den Jungen fallen. »Lieber Gott! Was ist geschehen? Was ist mit ihm?«
    Van Rhyn sah nicht hoch, sondern musterte das schmale Gesicht mit hohen Wangenknochen und einem Grübchen im Kinn. »Eine Unterkühlung dürfte das Schlimmste sein, soweit ich das beurteilen kann. Taumelte aus dem Gebüsch direkt vors Auto. Ich habe ihn hier noch nie gesehen. Kennst du ihn?«
    Der Alte hielt die Taschenlampe näher ans Gesicht des Unfallopfers und beugte seinen Oberkörper nach unten. Er schluckte hörbar. »Lieber Gott! Oh, nein!«
    »Wer ist er?«
    »Woher sollte Möbius das wissen?«
    Jetzt sah van Rhyn hoch, und sein Gesicht zeigte Verwirrung. »Was? Warum dann dein Entsetzen? Ich dachte, du kennst ihn.«
    Der Hagere schluckte erneut, dass sein Adamsapfel hüpfte. »Möbius war ... war entsetzt darüber, wie elend der Knabe aussieht - ganz grau im Gesicht. Wir sollten ihn aus der Kälte schaffen. ... So lingelang im Matsch kann er sich sonst was holen.«

    Siebenmal schlug die Kirchturmglocke, und prompt ging in einigen Zimmern des Herrenhauses Licht an. Van Rhyn gähnte. Zwei Nächte hatte er nicht geschlafen, war ständig unterwegs gewesen. Arme und Beine schienen aus Blei zu bestehen, und Gedanken im Kreisverkehr zu stecken.
    Er nickte dem Pförtner zu. »Trag ihn ins Haus und steck ihn ins Bett! Bleib bei ihm! Er sollte in fremder Umgebung nicht allein aufwachen. Ich sehe später nach ihm, muss erst noch einige Herren verfrachten.«
    Möbius schnappte sich den Jungen und machte sich im Laufschritt auf den Weg.
    Van Rhyn fuhr den Wagen vor die Freitreppe, weckte seine Gefangenen und trieb sie ins Haus.
    Hausdame, Frau Meise, die gerade die Treppe hinunter kam, sah ihn und seine fluchenden Begleiter im Gang zum Reiseraum verschwinden.

    Es war noch nicht acht Uhr, da herrschte reges Treiben in der prunkvollen Halle des Herrenhauses. Dies war nicht nur Wohnsitz des Ringlords, sondern beherbergte neben Gästezimmern auch die Verwaltung Waldsees, den Reisehafen und den Kindergarten. Männer und Frauen, die in der Zentralverwaltung beschäftigt waren, lösten gerade die Nachtschicht ab. Erzieherinnen kamen zeitgleich mit Eltern, die ihre Sprösslinge in den Kindergarten brachten, bevor sie selbst zur Arbeit gingen. Im Kamin, in dem sechs Männer hätten stehen können, prasselte ein Feuer.
    Frau Meise - mit grauer Hochsteckfrisur und in blauem Kostüm - huschte hin und her und forderte wie jeden Tag jedermann auf, die Schuhe abzuputzen, besser noch auszuziehen. In einem uralten Eichenschrank stapelten sich schließlich Besucherpantoffeln in allen Größen. Noch gründlicher als die Ankommenden musterte die Hausdame zwei Jungen, die das Haus verließen, um zur Schule zu gehen, und nickte zufrieden. Beide waren wetterfest gekleidet. Aber das waren sie ja immer. Lediglich ...
    »Lennart!« Ihre schrille Stimme durchschnitt die Luft.
    Der größere der Jungen fuhr zusammen und drehte sich um. »Was gibt’s? Wir sind spät dran.«
    »Wo ist Gerrit?«
    »Keine Ahnung!«
    »Hier!« kam zeitgleich von der Treppe aus dem ersten Stock. Ein Junge mit nassem Haar, in weiter Cordhose, die auf dem Boden schleifte, und ausgeleiertem Wollpullover warf sich im Rennen seinen Rucksack um. »Hab verschlafen.«
    Die Hausdame keuchte auf und breitete die Arme aus. »So gehst du nicht aus dem Haus. Mit nassen Haaren und ohne Jacke – das gibt’s nicht. Du ...«
    »Morgen, Frau Meise! Hab’s eilig.« Der Junge umkurvte sie geschickt und brüllte: »Lennart, Adrian, wartet auf mich!«
    Sie hätte am liebsten geschrien, bemerkte noch rechtzeitig die belustigten Blicke einiger Besucher und straffte die Schultern. Schließlich war sie Hausdame eines Ringlords. Wenn der selbst auch wenig Wert auf seine herausragende Stellung legte, sie würde stets die Würde bewahren, die ihre Ämter mit sich brachten. Sie grüßte mit verkniffener Miene nach links und rechts, wagte einen Schritt nach draußen und seufzte. Zumindest schneite oder regnete es nicht. Man konnte auch nicht sagen, dass es stürmte. Es wehte lediglich sehr kalt und sehr heftig.

    Erik kam langsam wieder zu sich und räkelte sich. Er öffnete die Augen und schrie auf.
    Auch das Geistergesicht direkt über ihm schrie auf und verschwand aus seinem Blickfeld.
    »Entschuldige! Möbius wollte dich nicht erschrecken.« Die Stimme klang
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