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Die Welt ohne uns

Die Welt ohne uns

Titel: Die Welt ohne uns
Autoren: Alan Weisman
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nur noch selten von dieser Technik Gebrauch, weil Abbau, Zuschneiden, Transport und Einpassen der Steine eine Geduld verlangen, die wir nicht mehr besitzen. Baumeister wie Antonio Gaudi, der in Barcelona im Jahr 1882 mit der Errichtung der noch immer unvollendeten Basilika Sagrada Familia begann, gibt es nicht mehr – niemand ist bereit, in Bauwerke zu investieren, die unsere Urururenkel in 150 Jahren vollenden werden. Ganz zu schweigen von den Kosten, die, da wir nicht mehr auf Tausende von Sklaven zurückgreifen können, sehr beträchtlich sind, vor allem im Vergleich mit einer anderen römischen Erfindung: dem Beton.
    Heute verfestigt sich dieses Gemisch aus Kalkstein, Ton, Wasser und Zusatzstoffen während des Aushärtens zu künstlichem Gestein und wird mehr und mehr zur erschwinglichsten Option des Homo sapiens urbanus. Was wird also mit den Betonstädten geschehen, die heute mehr als die Hälfte der Menschheit beherbergen?
    Bevor wir uns dieser Frage zuwenden können, müssen wir uns mit einer anderen beschäftigen, die das Klima betrifft. Wenn wir morgen verschwinden, wird die Eigendynamik bestimmter Kräfte, die wir bereits in Gang gesetzt haben, noch so lange fortwirken, bis Jahrhunderte später der Einfluss von Schwerkraft, Chemie und Entropie ein neues Gleichgewicht herstellt, das nur noch teilweise dem ähneln wird, das vor unserer Zeit herrschte. Dieses frühere Gleichgewicht beruhte darauf, dass ein erheblicher Teil des Kohlenstoffs, den wir inzwischen wieder in die Atmosphäre befördert haben, unter der Erdkruste eingeschlossen war. Statt zu verfaulen, könnten die Balkenkonstruktionen unserer Häuser konserviert werden wie die Planken der spanischen Galeonen, die dem steigenden Salzgehalt des Meerwassers ihre Erhaltung verdanken.
    In einer wärmeren Welt würden die Wüsten möglicherweise noch trockener werden, während die Gegenden, in denen Menschen lebten, wahrscheinlich wieder von dem Element in Besitz genommen würden, das die Menschen ursprünglich angelockt hatte: fließendes Wasser. Von Kairo bis Phoenix entstanden Wüstenstädte dort, wo Flüsse Trockengebiete bewohnbar machten. Als ihre Zahl anstieg, unterwarfen die Menschen diese Wasseradern ihrer Kontrolle und leiteten sie in einer Weise um, die ein weiteres Bevölkerungswachstum ermöglichte. Doch mit den Menschen werden auch diese Veränderungen am natürlichen Lauf der Flüsse verschwinden. Den trockeneren, heißeren Wüstenklimata stehen dann feuchtere, stürmischere Großwetterlagen in den Gebirgen gegenüber, die reißende Wassermassen in die Ebenen schicken, Dämme überfluten, sich in die ehemaligen Überschwemmungsgebiete ergießen und alles begraben, was auf ihren alljährlich abgelagerten Schlammschichten erbaut wurde. Unter dieser Schicht könnten Hydranten, Lkw-Reifen, zertrümmertes Flachglas, Apartment- und Bürohochhäuser unbefristet fortbestehen, den Blicken allerdings ebenso gründlich entzogen wie einst unsere fossilen Brennstoffe.
    Kein Denkmal wird ihr Grab kennzeichnen, nur die Wurzeln der Pappeln, Weiden und Palmen werden ihre Anwesenheit gelegentlich zur Kenntnis nehmen. Erst Ewigkeiten später, wenn die alten Gebirge abgetragen und neue aufgeworfen sind, werden junge Ströme neue Felsschluchten durch Sedimentschichten graben und dabei offenbaren, wer hier kurze Zeit weilte.

3    Die Stadt ohne uns
     
    Die Vorstellung, die Natur könnte eines Tages etwas so Gigantisches und Festgefügtes wie eine moderne Großstadt schlucken, gelingt nicht ohne Weiteres. Angesichts der ungeheuren Größe von New York City scheitern alle Bemühungen, uns sein Verschwinden von der Landkarte vorzustellen. Die Ereignisse vom September 2001 haben lediglich gezeigt, was Menschen mit entsprechenden Mitteln bewirken können, nicht aber, wozu natürliche Prozesse wie Erosion oder Fäulnis fähig sind. Der atemberaubend rasche Zusammenbruch der Türme des World Trade Center vermittelte uns eher einen Eindruck von den Attentätern als von der extremen Verwundbarkeit, die unsere gesamte Infrastruktur bedrohen könnte. Und selbst diese zuvor unvorstellbare Katastrophe blieb auf einige wenige Gebäude beschränkt. Trotzdem: Die Zeit, welche die Natur brauchen würde, um sich aller Errungenschaften unserer urbanen Zivilisation zu entledigen, könnte kürzer sein, als wir vermuten.
     
    1939 fand in New York eine Weltausstellung statt. Zu diesem Anlass schickte Polens Regierung ein Standbild von Wladislaw Jagiello, dem Begründer der
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