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Die Welt ohne uns

Die Welt ohne uns

Titel: Die Welt ohne uns
Autoren: Alan Weisman
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wobei der erste Schlag gegen die empfindlichste Stelle der Stadt geführt würde: ihren Unterleib.
     
    Paul Schuber von den New Yorker Verkehrsbetrieben und Peter Briffa, in der Stadtverwaltung zuständig für Verhinderung und Beseitigung von Wasserschäden, können sich ziemlich genau vorstellen, wie das geschehen würde. Jeden Tag müssen sie 50 Millionen Liter Wasser daran hindern, die New Yorker U-Bahn-Tunnel zu fluten.
    »Das ist nur das Wasser, das sich bereits unter der Erde befindet«, sagt Schuber.
    »Wenn es regnet, ist die Menge ...«, Briffa hebt resignierend die Hände, »nicht mehr zu kalkulieren.«
    Vielleicht nicht wirklich unkalkulierbar, doch es regnet heute nicht weniger als vor dem Bau der Stadt. Einst umfasste Manhattan siebzig Quadratkilometer durchlässigen Bodens, durchzogen von lebendigem Wurzelwerk. Bäume und Wiesengräser absorbierten jährlich 120 Zentimeter Niederschlag, stillten damit ihren Durst und verdunsteten den Rest in die Atmosphäre. Was die Wurzeln nicht aufnahmen, sickerte ins Grundwasser. Hier und da trat das Regenwasser in Form von Seen und Sümpfen an die Oberfläche, wo überschüssige Mengen über die vierzig Flüsschen und Bäche ins Meer befördert wurden – jene Wasserläufe, die jetzt unter Beton und Asphalt begraben sind.
    Da es heute kaum noch unversiegelte Böden oder Vegetation gibt, um die Niederschläge aufzunehmen beziehungsweise auszuschwitzen, und da die Hochhäuser das Sonnenlicht abfangen, weshalb das Wasser nicht verdunsten kann, sammelt sich der Regen in Pfützen, folgt der Schwerkraft in die Kanalisation – oder fließt in die Belüftungsschächte der U-Bahn, womit er zusätzlich zum Wasseraufkommen beiträgt, das dort bereits vorhanden ist. Unter der 131. Straße und Lenox Avenue untergräbt beispielsweise ein anschwellender unterirdischer Fluss das Fundament der U-Bahn-Linien A, B, C und D. Ständig klettern Männer in Warnwesten und derber Arbeitskleidung unter der Stadt herum, um den steigenden Grundwasserspiegel in den Katakomben von New York in den Griff zu bekommen.
    Nach heftigen Regenfällen sind die Gullys von Schwemmgut verstopft – die Zahl der Plastikmülltüten, die in den Großstädten der Welt die Rinnsteine hinabtreiben, dürfte jede Vorstellung übersteigen –, worauf das Wasser, das ja irgendwohin ausweichen muss, die nächstgelegene U-Bahn-Treppe hinunterplätschert. Wenn dann noch ein kräftiger Nordostwind hinzukommt, drückt das Hochwasser des Atlantiks gegen den New Yorker Grundwasserspiegel, bis er an Stellen wie der Water Street in Lower Manhattan oder dem Yankee-Stadion in der Bronx direkt in die Tunnel schwappt und alles zum Erliegen bringt, bevor er wieder sinkt. Sollte sich der Ozean weiterhin erwärmen und schneller steigen als um die gegenwärtig zweieinhalb Zentimeter pro Jahrzehnt, wird sich der Atlantik irgendwann nicht mehr aus den Tunneln zurückziehen. Schuber und Briffa haben allerdings keine Ahnung, was dann geschieht.
    Nimmt man zu alledem noch die überalterten Hauptwasserrohre aus den dreißiger Jahren hinzu, die häufig brechen, so wird New York schon jetzt nur noch durch die unablässige Wachsamkeit der U-Bahn-Mitarbeiter und die Arbeit von 753 Pumpen vor einer Überflutung bewahrt. Vergegenwärtigen Sie sich diese Pumpen: New Yorks U-Bahn-System, 1903 ein Wunderwerk der Technik, wurde im Untergrund einer bereits existierenden, jetzt blühenden Stadt angelegt. Da die Stadt bereits eine Kanalisation besaß, musste man mit der U-Bahn noch tiefer gehen. »Daher müssen wir bergauf pumpen«, erläutert Schuber. Damit steht New York nicht allein: Städte wie London, Moskau und Washington haben ihre U-Bahnen noch weitaus tiefer angelegt, häufig auch, um sie als Bunker nutzen zu können. Damit ist potenzielles Unheil vorgezeichnet.
    Schuber blickt in ein quadratisches Loch, das sich unter der U-Bahn-Station Van Sielen Avenue in Brooklyn befindet. Aus dessen felsiger Sohle schießen jede Minute 2500 Liter Grundwasser hervor. Er weist auf vier gusseiserne Tauchpumpen in der tosenden Kaskade, die abwechselnd gegen die Schwerkraft kämpfen. Diese Pumpen werden elektrisch betrieben. Bei Stromausfall kann sich die Situation sehr rasch dramatisch zuspitzen. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center pumpte ein Pumpenzug mit einem riesigen Dieselgenerator das 27-fache Volumen eines großen Sportstadions aus der Unglücksstelle. Wäre der Hudson River tatsächlich in die Tunnel der PATH-Strecke eingebrochen, die
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