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Die Welt ist nicht immer Freitag

Titel: Die Welt ist nicht immer Freitag
Autoren: Horst Evers
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gerettet hat. Dieses Erlebnis sollte all den hyperaktiven Zeitgenossen, die uns Schlappen und Kaputten ständig in den Ohren liegen, wir müßten mal den Arsch hochkriegen, eine Lehre sein. Im richtigen Moment kann so ein gesundes Phlegma Gold wert sein.
    Im Krankenhaus verbrachte ich meine Zeit im Tagesaufenthaltsraum damit, den anderen Patienten bei der Erstellung der Urbankrankenhaus-Fast-Tot-Rangliste zuzuhören.
    - Zwei Tage später. Zwei Tage, und ich war tot gewesen.
    - Zwei Tage. Das ja nix. Sechs Stunden warn's bei mir. Sechs Stunden später und ab übern Jordan.
    - Hahaha Stunden. 20 Minuten hat der Arzt gesagt, 20 Minuten, und Bruder Hein hätte zugelangt, du. Aber Hallo!
    - Lächerlich. 20 Minuten, da hätt ich aber noch locker fünf Kinder gezeugt. Das ging um Sekunden bei mir. Bruchteile von Sekunden.
    - Ach Gott. Ach Gott. Ich war ja schon zwei Tage tot. Die Ärzte haben mich ja überhaupt nur noch operiert, damit se nich auße Übung kommen. Die hamm vielleicht geguckt, als ich die Augen aufgeschlagen hab, hey das war ein Hallo.
    Ich habe mich an diesem Wettbewerb nicht beteiligt, obwohl ich sicher die Chance auf einen Spitzenplatz gehabt hätte, so dermaßen halbtot wie ich war.
    Über meine Erinnerungen ist es 11.00 Uhr geworden. Ich muß los zur Ärztin, denn um 14.00 Uhr ist mein Termin und bis zur Praxis sind es fast 400 Meter.
    In der Rekordzeit von 2 Stunden 57 Minuten erreiche ich die Praxis. Die Ärztin freut sich, mich zu sehen.
    - Und suppt's noch?
    - Ja, suppt noch.
    - Dann könn wir die Fäden noch nich ziehen, wenn's noch suppt.
    - Nee, suppt ja noch.
    - Aber der Eiter muß ja raus, is ja richtig, wenn's suppt.
    - Ja, is ja richtig, wenn's suppt, is super.
    Wir lachen beide gelöst.
    Den Rückweg beschließe ich zum Einkauf zu nutzen. Einkaufen mit frischer Blinddarmnarbe ist verdammt mühsam, da ich nicht nur sehr langsam bin, sondern außerdem auch nicht schwer heben darf. Deshalb kann ich immer nur ein Teil kaufen, was bedeutet, daß mich ein normaler Einkauf, also ca. eine Plastiktüte voll, ungefähr ein halbes Jahr beschäftigen würde.
    Daher überleg ich mir immer schon vorher, welches Einzelteil ich kaufe, und will das dann aber auch unbedingt haben. Jetzt will ich ein Stück Kassler. Schon als ich die Frischfleischtheke erreiche, sehe ich, daß nur noch ein Stück Kassler da ist. Der Mann vor mir zeigt auf das Stück. Nein, nach all der Mühsal darf er mir nicht das letzte Stück wegnehmen, ich greife zum Äußersten. Ich ziehe mein Hemd hoch, tippe ihn an, deute auf den leicht durchgesuppten Verband und sage:
    »Guck mal.« Er wird bleich, verläßt den Laden, und ich habe mein Kassler. Langsam wird mir klar, was mit dem Satz: »Krankheit als Chance« gemeint ist.
    Nach dem anstrengenden, mehrstündigen Rückweg entdecke ich kurz vor meiner Haustür ein 5-Mark-Stück auf dem Bürgersteig. Verdammt.
    Außer meinen schon erwähnten Unzulänglichkeiten bin ich im Moment auch nicht in der Lage, mich zu bücken. Bzw., selbst wenn ich irgendwie runterkäme, könnte ich mich dann vermutlich nie wieder aufrichten.
    Kein schöner Gedanke, so lange in gebückter Haltung auf dem Bürgersteig verharren zu müssen, bis mich ein wohlwollender Passant in die Wohnung hochträgt. Und womöglich will er dann auch noch 5 Mark dafür haben.
    Ich erinnere mich an einen Satz einer früheren Freundin. Als ich die einmal um eine Beurteilung meines Hinterns gebeten hatte, hatte sie gesagt, nun, ich solle besser nicht zu lange in der Öffentlichkeit in gebückter Haltung stehen, es könnte sonst jemand kommen, mich satteln und mit mir davonreiten. Ein dummer, überflüssiger, absolut nicht zutreffender Scherz meiner ehemaligen Bekannten. Aber trotzdem scheue ich mich seither, mich in der Öffentlichkeit zu bücken.
    Andrerseits, 5 Mark sind 5 Mark. Ich will gerade leise in mich reinweinen, als ich etwa einen halben Meter entfernt einen erfreulich großen Hundehaufen entdecke. Die Rettung. Wenn ich erst in den Hundehaufen und dann auf das 5-Mark-Stück trete, müßten die 5 Mark eigentlich am Schuh festkleben, ich könnte locker damit in die Wohnung und dann in aller Ruhe…
    Eine halbe Stunde später bin ich in der Wohnung und 5 Mark reicher. Darüber hinaus ist mir bewußt geworden, daß die Weisheit, Geld stinkt nicht, so auch nicht immer gilt. Da soll noch einer sagen, Kranksein würde nicht das Bewußtsein erweitern.
Kopfschuß
    Ein sehr, sehr kalter Nachmittag Ende Februar. Stehe frierend in
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