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Die Welt auf dem Kopf

Die Welt auf dem Kopf

Titel: Die Welt auf dem Kopf
Autoren: Milena Agus
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dessen Höschen quasi nichtexistent ist und mehr oder weniger nur aus zwei schmalen Vorderseiten mit Nackenverschluss besteht, ultrakurze Spitzenshirts, die kaum bis zum Bauchnabel reichen. Allesamt Teile der Cottelli Collection, gekauft in einem Sexshop in Cagliari und offenbar unbenutzt, denn sie befanden sich noch in ihren Verpackungen. Laut Kassenbeleg waren die Sachen ganz schön teuer: Das Netzhemd kostete siebzig Euro, der Perlenstring fünfzig. Also verlangte Mr. Johnson, dass Anna Sex mit ihm hatte? Warum sonst hatte sie diese Dessous gekauft, wo sie ihren eigenen Worten zufolge alles täte, um in der oberen Wohnung wohnen zu können? Sogar sich ausziehen oder auf allen vieren nackt durchs Zimmer kriechen?
    Seit sie die Erotikwäsche angeschafft hat, spart sie allem Anschein nach in allen anderen Bereichen. Was den Bereich Lebensmittel angeht, kauft sie nur noch das Nötigste. Aber vielleicht empfinden nur Natascha und ich es so, denn sie scheint sogar stolz auf ihre mickrigen Lebensmittel zu sein. »Ach, meine Vorräte!«, sagt sie.
    Nudeln, geschälte Tomaten, Brot, Zucker, Kaffee, Tee.Von wegen Bollito misto. In ihrem Kühlschrank befinden sich neuerdings nur noch Milchprodukte und Gemüse. Allmählich glaube ich, dass sie auf dem besten Weg ist, ebenfalls Vegetarierin zu werden, so wie Mr. Johnson.
    Er hat ihr nämlich erklärt, welch furchtbares Leid wir den Tieren antun, weil wir glauben, sie würden keinen Schmerz empfinden und hätten keinen Verstand. Doch das stimmt nicht, sie spüren und verstehen genauso wie wir, sagt er. Um es zu verdeutlichen, erzählte er ihr eine Geschichte: Er verbrachte seine Kindheit in Oklahoma, auf einer Ranch mit Rindern, Kälbern, Pferden und Hunden. Die Stacheldrahtzäune der Viehkoppeln standen unter Strom, damit die Kühe nicht ausbrachen, und wenn ein Rind einmal einen Stromstoß bekommen hatte, hüteten sich auch die anderen Tiere davor, in die Nähe des Zauns zu geraten. War das nicht ein ausreichender Beweis, dass sie miteinander redeten? Und einmal – Mr. Johnson versicherte Anna, dass diese Geschichte wirklich war sei – habe er ein Kälbchen weinen sehen, während es den Viehtransporter erklomm, der es zum Schlachthof fahren sollte. Natascha sind die veränderten Einkaufsgewohnheiten ihrer Mutter nicht entgangen: Anfangs kaufte sie für die obere und untere Wohnung noch getrennte Lebensmittel ein – für oben nur vegetarische und für unten auch Fleisch –, dann beschloss sie für eine Weile, nur noch Fleisch von Tieren zu essen, die, wie sie dachte, nicht denken können, zum Beispiel von Hühnern, die ja bekanntlich ein Hühnerhirn hätten, oder Gänsen, und manwisse ja, wie Gänse sind. Aber dann kamen auch in der unteren Wohnung zusehends nur noch Omeletts, Gemüsesuppen und Aufläufe auf den Tisch. Natascha, die ihr auf den Zahn fühlen wollte, fragte: »Wann machst du mal wieder Fleisch, Mama? Kaufst du eigentlich kein Fleisch mehr?«
    »Ach, weißt du, eine Freundin von mir, deren Mann Gemüsehändler ist, schenkt mir immer Gemüse, das noch sehr gut ist, höchstens die äußeren Blätter sind verdorben, und die schmeiße ich weg und verwende nur die guten Teile; so sparen wir eine Menge Geld. Schmecken dir denn meine neuen Gerichte nicht? Es sind alles Rezepte aus der Haute Cuisine! Zum Beispiel gekochter Hummer mit Kartoffelpüree in Aprikosensauce mit Chiliöl, nur ohne Hummer! Oder gegrillte Lachsschnitten mit Äpfeln, Rüben und Wirsing, nur ohne Lachs! Oder Kichererbsencreme mit Wildgemüse und geschmorten Minitintenfischen, nur ohne Minitintenfische! Oder Wildhasenragout mit Birnen, nur ohne Wildhase!«
    »Sag mal, machst du dich über mich lustig?«
    »Ich mache mich über niemanden lustig. Nimm dir ein Beispiel an Mr. Johnson, der ist ganz verrückt nach meinen vegetarischen Gerichten.«

Sechs
    D en Sohn der Johnsons hat noch nie jemand gesehen. In ihrer Wohnung gibt es nur Kinderfotos von ihm, als wäre er nie erwachsen geworden. Anna stellt keine Fragen, weil sie Angst hat, dass sich etwas Hässliches dahinter verbergen könnte. Warum ist das Kind nicht groß geworden? Warum ist er immer mit unterschiedlichen Leuten auf den Fotos zu sehen, zum Beispiel mit zwei jungen Männern, die sich ihn lachend zuwerfen und ganz sicher nicht Mr. und Mrs. Johnson sind?
    Die Leute in der Marina wissen jedoch, dass Johnson junior lebt, und zwar in New York oder Paris oder auch Mailand, aber nicht einmal in den Lebensmittelläden, wo Mr. Johnson einkauft,
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