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Die Welfenkaiserin

Titel: Die Welfenkaiserin
Autoren: Martina Kempff
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Leben erfahren haben musste als sie selbst, die immerhin wohl behütet auf einem Herrensitz lebte. »Und sie hat eine hohe Stellung am Hof Kaiser Karls bekleidet«, fügte sie steif hinzu, hoffend, dass er jetzt nicht Konrad befragen würde, der ihm mitteilen könnte, dass die Tante schlichtweg eine Bettgespielin des Herrschers gewesen sei. Eine üble Verzerrung der Wahrheit, denn kaum jemand wusste besser als Judith, welch wichtige Rolle Gerswind im Leben des Kaisers gespielt hatte. Aber da er vor der geplanten Hochzeit mit seiner letzten Geliebten gestorben war, konnte sie nicht nur keine Ansprüche geltend machen, sondern war ohne Mittel und Rechte vom Kaiserhof vertrieben worden. Ich muss auf jeden Fall heiraten, dachte Judith betroffen, eine solche Schutzlosigkeit könnte ich nicht ertragen. Sie riss sich zusammen.
    »Sagt doch, wo wohnt meine Tante?«, fragte sie freundlich.
    »Im Hurenhaus«, brummte der Mann.
    »Im Hurenhaus!«, wiederholte Judith entsetzt. Die Aussichten wurden immer übler.
    »So hieß es früher«, seufzte der Mann. »Als die Mönche noch mit Frauen umgehen durften und sie dafür bezahlten. Jetzt ist so etwas natürlich verboten, und da sind die Huren verschwunden. Aber niemand wollte in das böse Haus am Ufer der Prüm ziehen. Bis eben die Frau aus Aachen kam und es für sich herrichtete.« Neugierig fragte er: »Was für eine Stellung hat sie denn an Kaiser Karls Hof bekleidet?«
    »Eine sehr bedeutende«, erwiderte Judith ausweichend, weil ihr keine andere Antwort einfiel.
    Die Frau, die im Aachener Palatium kaiserliche Gemächer bewohnt, Karl den Großen in seinen privatesten Augenblicken umsorgt und in seiner letzten Stunde bei ihm gewacht hatte, sollte in diesem kleinen hölzernen Schuppen hausen? Judith starrte auf die schneebedeckte windschiefe Hütte im Schatten hoher Fichten am Ufer der zugefrorenen Prüm. Rauch stieg aus einem Loch im Dach empor. Judith trat einen Schritt näher, um anzuklopfen.
    Da öffnete sich die Tür. Der Schwall von Schmutzwasser, der schwungvoll aus einer Schüssel ins Freie befördert wurde, hätte sich fast über Judiths Füße ergossen. Sie sprang im gleichen Augenblick zur Seite, wie die irdene Schüssel zu Boden fiel. Und dann lagen sich die beiden Frauen in den Armen.
    »Judith! Wie kommst du hierher!«, rief Gerswind, als sie ihre Nichte an der Hand ins Innere der Hütte zog und die Tür wieder schloss.
    »Ich bin auf dem Weg nach Aachen«, erwiderte Judith strahlend, zupfte sanft an dem dicken weißblonden Zopf, der Gerswind über die Brust hing und setzte übermütig hinzu: »Wo ich Kaiser Ludwig heiraten werde!«
    Gerswind wurde aschfahl. Sie ließ die Hand ihrer Nichte los, suchte Halt an der Wand und stieß heiser hervor: »Niemals! Das werde ich verhindern.«

2
    Aus den Chroniken der Astronoma
    Im Jahr des Herrn 818
    Am Gründonnerstag des Vorjahres bricht der hölzerne Gang zwischen Hofkirche und Palast zusammen. Ein Mann stirbt, und viele werden schwer verletzt, darunter auch Kaiser Ludwig höchstselbst. Knapp dem Tod entronnen, beschließt er, seine Nachfolge zu regeln, und erlässt ein Vierteljahr später die Ordinatio imperii : Er teilt sein Reich unter seinen drei ehelichen Söhnen auf. Die beiden jüngeren, Ludwig, genannt Ludo, und Pippin von Aquitanien, sollen nach dem Tod des Vaters ihrem älteren Bruder Lothar, den Ludwig jetzt zum Mitkaiser erhoben hat, als Unterkönige dienen und dürfen nur mit seiner Zustimmung heiraten. Die illegitimen Söhne Karls des Großen schließt der Kaiser aus der Erbfolge aus. Er lässt seine Halbbrüder Drogo, Hugo und Theoderich scheren und in Klöster einweisen. König Bernhard von Italien, den Sohn seines Bruders Pippin, übergeht er in der Ordinatio imperii. Stattdessen schreibt er Italien seinem eigenen Sohn Lothar zu. Damit hat Kaiser Ludwig das Versprechen gebrochen, das er seinem Vater, dem Großen Karl, im Jahre des Herrn 813 gegeben hat. Bernhard, hinter dem ein bedeutender Teil des Adels steht, pocht auf sein verbrieftes Recht. Er erhebt sich gegen seinen Oheim Kaiser Ludwig und besetzt die Alpenpässe. Kaiserin Irmingard greift zu einer List und sendet ihm einen Brief. Alles solle vergeben und vergessen sein, wenn er sich an einem neutralen Ort zu einem Aussöhnungstreffen mit Ludwig bereit erkläre. Bernhard willigt ein, wird aber bei seiner Ankunft in Chalon-sur-Saône als Hochverräter festgenommen und nach Aachen verschleppt. An diesem Osterfest, genau ein Jahr nach dem Einsturz des
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