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Die Welfenkaiserin

Titel: Die Welfenkaiserin
Autoren: Martina Kempff
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im Winter auf so einen weiten Weg!«
    »Auch kein Räuber«, erwiderte Frau Stemma. »Man muss immer die Vorteile sehen.«
    Als hätte er die Worte gehört, trabte jetzt der einheimische Führer, den sie für dieses Teilstück der Reise angeworben hatten, auf die Frauen zu und erklärte fröhlich: »Wir werden noch vor Einbruch der Dunkelheit in der Abtei ankommen. Da gibt es ein gut gewärmtes Gästehaus mit richtigen Betten, hervorragendes Bier und ein Stück ordentlich gebratenes Wildbret. Herz, was willst du mehr!«
    »Vielleicht etwas für die Seele?«, fragte Frau Stemma scharf. »Eine kleine Kirche? Damit wir Gott danken können, dass wir es bis hierher lebendig und gesund geschafft haben.«
    »Sogar eine große Kirche!«, versicherte der Einheimische. »Die schönste weit und breit! Gewiss noch schöner als die Kirche von Aachen. Hier in Prüm hat König Pippin vor über einem halben Jahrhundert die Goldene Kirche gestiftet und ihr die kostbarste Reliquie des Erdkreises geschenkt – die Sandale Jesu!«
    Beim Gedanken an nackte Füße in dünnen Riemenschuhen zitterte Judith noch mehr. So eine Kälte wie hier kannte sie weder aus Aachen noch aus Altdorf. Was mochte Gerswind bloß bewogen haben, sich in einer derart unwirtlichen Gegend niederzulassen!
    »Kennt Ihr die Bewohner Prüms?«, fragte sie den Einheimischen. Er musterte sie verblüfft und brach in Gelächter aus. »Natürlich! Ich wohne doch dort. Da gibt es nicht viel zu kennen. Vater Dankrad, ein paar Mönche, ein paar Hufebauern, etliche Unfreie, ein paar Handwerker, ein paar alte Männer und die Frauen, die in der Tuchmacherei arbeiten. Eben, was sich so alles in einer Abtei aufhält und sich um sie herum ansiedelt. In Prüm kennt jeder jeden, und, von den Mönchen mal abgesehen, sind fast alle miteinander verwandt.«
    »Sagt Euch der Name Gerswind etwas?«
    Der Mann starrte sie verblüfft an. »Ja«, knurrte er abweisend. »Mit der bin ich nicht verwandt. Die Frau aus Aachen. Die Verrückte.«
    »Was ist mit ihr?«, fragte Judith erschrocken. »Ich bin mit ihr verwandt«, setzte sie schnell hinzu. »Sie ist die Schwester meiner Mutter.«
    »Ja, dann …«, sagte er etwas hilflos, als erklärte das Gerswinds Verrücktheit.
    »Es geht ihr gut«, setzte er seufzend hinzu. »Vielleicht zu gut. Sonst hätte sie Vater Dankrad doch nie davon überzeugen wollen, in der Abtei eine Schule einzurichten!« Er begann sich vor Lachen zu schütteln.
    »Was ist daran so komisch?«, wollte Judith wissen. »In vielen Klöstern werden Kinder unterrichtet.«
    »Aber doch nicht Mädchen! Wenn das nicht verrückt ist, was dann?«
    Judith fiel die kaiserliche Hofschule ein. Die Mädchen waren zwar getrennt unterrichtet worden, hatten aber zumeist erheblich bessere Leistungen im Lesen und Schreiben aufgewiesen als die Knaben. Kaiser Karl hatte höchstselbst zugegeben, dass seine Töchter wesentlich gelehriger als seine Söhne waren. Judith dachte an ihren Vater, der zwar lesen, aber nur mit Mühe und Not ein paar Buchstaben zu Pergament bringen konnte. Ihre Mutter hingegen setzte in schöner Sprache die feinsten Minuskeln auf; ihre Schwester Dhuoda hatte gar angefangen, eine eigene Schrift mit religiösen und philosophischen Gedanken anzufertigen, und Hemma hatte eine Geschichte niedergeschrieben, in der ein schielendes Mädchen zur Königin gemacht wurde, weil sie einen Blick für das hatte, was anderen verborgen blieb. Judiths eigene Dichtkunst hatte Einhard, der Leiter der kaiserlichen Hofschule, einst gar mit Strophen von Homer verglichen. Weshalb Judith übrigens die heimliche Vermutung hegte, dass sich hinter dem Namen des Homer eine Frau verbarg.
    »Kaiser Ludwig hat jedenfalls alle Mädchenschulen schließen lassen«, erklärte Frau Stemma zustimmend. »Woran er recht getan hat! Es ist widernatürlich, wenn Frauen ihre Zeit mit Lesen und Schreiben verplempern, anstatt zu kochen, zu spinnen, zu gebären oder auf dem Feld zu arbeiten.«
    Der Mann nickte. »So ist es. Ich jedenfalls habe meiner Tochter verboten, zu dieser Frau zu gehen. Sie soll jetzt angeblich in ihrem eigenen Haus Mädchen unterrichten, aber ich kenne keine Familie, die ihre Tochter dahin schicken würde.« Er wandte sich zögerlich fragend an Judith.
    »Ihr sagt, sie sei Eure Tante. Im Dorf heißt es, sie sei eine heidnische Sächsin. Was ist denn nun wahr?«
    »Sie ist meine Tante«, beschied ihm Judith in höchster Besorgnis. Sie begriff, dass Gerswind einen noch tieferen Einschnitt in ihr
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