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Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman

Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman

Titel: Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman
Autoren: Sabine Klewe
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Drahtgestellbrille vergrößerte die rot verweinten Augen, ohne das Gesicht zu entstellen.
    Lydia trat hinzu. »Können Sie uns vielleicht kurz schildern, wie der heutige Tag verlaufen ist?«
    Bruckmann nickte, doch er antwortete nicht sofort. Schließlich räusperte er sich. »Es war ein ganz normaler Tag, eigentlich.« Seine Stimme war rau, seine Worte klangen unbeholfen, so als hätte er lange nicht gesprochen. »Ich bin morgens in die Uni gefahren.«
    »Wann?«, unterbrach Lydia.
    »So gegen halb neun, wie immer. Da war Toni schon weg.« Er stockte. »Sie – sie wird meistens von Noras Mutter mit in die Schule genommen. Die holt sie an der Straßenecke ab.«
    »Noras Mutter?«
    »Nora ist Tonis beste Freundin. Wir haben uns sehr gefreut, dass sie so schnell Anschluss gefunden hat. Sie wollte nicht aus Münster weg. Es ist ihr sehr schwergefallen, ihre Freundinnen zu verlassen. Wir haben ziemlichen Stress mit ihr gehabt. Sie hat sich geweigert, ihre Sachen zu packen.« Er nahm die Brille ab und rieb sich die Augen. »Es war fast, als hätte sie es geahnt«, flüsterte er.
    »Und dann hat sie Nora kennengelernt?«, ermunterte ihn Salomon.
    »Ja. Sie gehen in eine Klasse. In der Waldorfschule in Gerresheim. Noras Mutter ist dort Lehrerin. Deshalb nimmt sie die Mädchen morgens mit.«
    »Ihre Frau geht nicht arbeiten?«
    »Nicole ist nicht gesund. Sie hatte vor Jahren eine schwere Krebserkrankung. Heute geht es ihr gut, aber sie arbeitet nicht. Mit dem Haus und mit Toni hat sie genug zu tun. Außerdem muss sie sich regelmäßig untersuchen lassen. Auch heute Vormittag hatte sie einen Arzttermin.«
    »Wissen Sie, wann sie wieder nach Hause gekommen ist?«
    »Erst nach mir. Sie muss noch in der Stadt gewesen sein. Als sie vorhin kam, hatte sie eine Tüte dabei und hat etwas von einem neuen Wintermantel gesagt. Das war bevor …« Er räusperte sich. »Ich bin gegen halb fünf hier gewesen. Als ich ins Haus kam, habe ich nicht sofort bemerkt, dass – dass etwas nicht stimmte. Ich habe meine Jacke aufgehängt und in der Küche ein Glas Wasser getrunken. Erst danach habe ich Toni – habe ich sie da liegen sehen. Ich …« Er presste die Lippen zusammen und wandte sich ab.
    »Da war Ihre Frau noch unterwegs?«, fragte Lydia schnell.
    Bruckmann nickte, ohne Lydia anzusehen. »Ich habe sie angerufen, habe gesagt, dass sie nach Hause kommen soll, aber ich habe nicht gesagt, warum.« Er sah Lydia an. »Nicht am Telefon.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Nicht am Telefon«, wiederholte er. »Sie kam erst nach dem Notarzt. Der hat ihr sofort etwas gegeben.« Er warf einen Blick auf das Sofa, beugte sich vor und legte seine Hand auf die Decke. »Das ist nicht gut für sie. Der Schmerz. Die Aufregung. Ich will sie nicht auch noch verlieren.«
    »Haben Sie irgendeinen Verdacht, wer das getan haben könnte?«, wollte Lydia wissen. Der Schmerz des Mannes berührte sie unangenehm, sie hatte das Gefühl, sich ihm nicht entziehen zu können. Außerdem musste sie ständig an Salomon denken, wie es wohl in ihm aussah, wie er mit alldem hier fertig wurde. »Ist Ihnen in letzter Zeit etwas aufgefallen? Hat jemand das Haus beobachtet, Ihrer Tochter nachgestellt?«
    Bruckmann schüttelte den Kopf. Dann stockte er. »Der Perverse.«
    »Der Perverse?« Lydia warf einen fragenden Blick zu Salomon, der verständnislos mit den Schultern zuckte.
    »Hier in der Nachbarschaft treibt sich seit einigen Monaten ein Verrückter herum. Das hatte schon angefangen, bevor wir hergezogen sind. Ich fand die Hysterie lächerlich. Habe den Kerl für harmlos gehalten.« Er ballte die Fäuste.
    »Was genau haben Sie für harmlos gehalten?«, fragte Lydia.
    »Er ist ein Exhibitionist. Er dringt in die Gärten ein, entblößt sich und erschreckt die Frauen beim Rosenschneiden.«
    Salomon beugte sich vor. »Hat er jemals eine Frau bedroht oder angefasst?«
    »Keine Ahnung. Das wissen Ihre Kollegen bestimmt. In letzter Zeit war fast jede Woche die Polizei hier. Wie gesagt, ich fand das ganze Theater bisher total übertrieben. Vielleicht habe ich mich getäuscht.« Er vergrub das Gesicht in den Händen.
    »Was passiert ist, ist nicht Ihre Schuld«, sagte Salomon und berührte kurz seinen Arm. »Das konnten Sie nicht vorhersehen. Niemand kann solche Dinge vorhersehen. Machen Sie sich keine Vorwürfe.«
    Lydia betrachtete ihren Kollegen, die steife Haltung, die verkrampften Schultern. Sie wusste, dass er nicht nur zu Bruckmann gesprochen hatte, sondern auch zu sich
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