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Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman

Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman

Titel: Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman
Autoren: Sabine Klewe
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müssen, was sie von euch verlangt. Und eines Tages hätte sie vielleicht ganz Tonis Platz eingenommen.«
    »Sie hat gesagt, dass sie die echte Toni ist«, flüsterte Nora. »Dass sie für immer bei Nicole und Michael bleibt. Und dass Toni zu ihren Eltern muss.«
    »Das wolltest du nicht zulassen.«
    »Toni hat mit ihr gestritten. Sie hat gesagt, dass sie sich nicht mehr erpressen lässt. Doch dann hat Leonie gefragt, welches Mädchen ihre Eltern wohl lieber haben möchten, eins, das immer brav ist, oder eins, das lügt und klaut. Da hat Toni geweint.«
    »Was ist dann passiert?«
    »Toni ist gegangen. Sie wollte den Bus nehmen, zurück in dieses schreckliche Haus fahren, wo Leonie wohnt. Ich wollte nicht, dass sie geht, doch sie hat gesagt, dass sie keine Wahl hat, dass ihre Eltern ihr nie verzeihen würden, dass sie geklaut hat.«
    »Und du bist allein mit Leonie zurückgeblieben.«
    »Ja.« Tränen tropften in den Kakao. »Ich habe sie angefleht, uns in Ruhe zu lassen. Aber sie hat nur gelacht. Ich – ich war so wütend. Ich wollte nicht, dass sie die Treppe hinunterstürzt. Ich wollte nur, dass sie aufhört zu lachen.«
    »Das Leben ist ein noch größeres Arschloch, als ich dachte«, sagte Salomon, als sie wieder im Wagen saßen.
    Sie hatten die Familie Diercke in der Obhut einer Psychologin zurückgelassen. Am nächsten Tag sollte Noras Aussage im Präsidium aufgenommen werden. Das Jugendamt kümmerte sich nun um den Fall, doch für Nora waren keine Konsequenzen zu erwarten. Es war ein tragischer Unfall gewesen, der zwei weitere tragische Tode nach sich gezogen hatte. Ein Unfall, dessen Ursache weit in der Vergangenheit lag, in einer Klinik, wo ein gieriger Arzt zwei neugeborene Schwestern auseinandergerissen und zwei verschiedenen Elternpaaren übergeben hatte. Nun war eine Familie ausgelöscht, während die andere eine zweite Chance bekam.
    »Ein absolutes Riesenarschloch«, bestätigte Lydia.
    »Wie bist du darauf gekommen, dass es Nora war?«, fragte Salomon.
    »Als ich mit Toni da oben auf dem Mast saß, hat sie etwas Komisches gesagt, nämlich dass sie nie wieder zurück zu den Schwarzbachs gehen würde, egal womit Leonie ihr drohe. Sie sagte: ›Es ist mir egal, was sie meinen Eltern erzählt. Lieber gehe ich ins Gefängnis.‹«
    »Sie wusste gar nicht, dass Leonie tot ist?«
    »Genau.«
    »Glaubst du, dass die Bruckmanns Toni behalten dürfen?«
    Lydia sah ihn an. »Keine Ahnung. Es wäre jedenfalls das Beste für sie.«
    Er sah aus dem Fenster. »Da hast du wohl recht.«
    Sie fuhren schweigend zurück zur Festung. Als sie auf dem Parkplatz angekommen waren, stiegen sie nicht sofort aus.
    »Wie hast du dich eigentlich entschieden?«, fragte Lydia.
    »Entschieden?«
    »Die Weihnachtseinladung. Sonja.«
    Salomon sah sie an. »Ich glaube, das schaffe ich noch nicht.«
    »Okay. Dann also die Filme. Bei mir oder bei dir?«
    Er grinste. »Bei dir. Jeder darf einen Film aussuchen.«
    »Nur einen? Ich dachte, es soll eine lange Filmnacht werden?«
    »Du weißt ja noch nicht, welchen Film ich gucken will.«
    »Ich ahne Böses. Lawrence von Arabien ?«
    »Schlimmer.«
    Lydia schnitt eine Grimasse. »Ich glaube, mir fällt gerade siedend heiß ein, dass ich Heiligabend Dienst habe.«

Epilog
    Poltawa, Ukraine
    14. Dezember
    Elena reichte erst der kleinen Kateryna die Hand, dann ihrer Mutter.
    »Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte sie. »In ein paar Tagen ist sie wieder ganz gesund.«
    Als Mutter und Tochter das Behandlungszimmer verlassen hatten, trat Elena ans Fenster und schaute hinaus. Es stürmte und schneite. An Tagen wie diesen musste sie immer an ihre kleinen Mädchen denken. Anastasia und Natalia. Zehn Jahre wären sie jetzt alt. Doch sie hatten es nicht geschafft. Sie hatten sich vier Wochen zu früh auf die Welt gedrängt und die Geburt nicht überlebt. Wenn ihr Bruder sie nicht rechtzeitig gefunden hätte, wäre sie an jenem Abend verblutet. In der Klinik wollte man ihr ihre toten Babys nicht einmal zeigen, als sie aus der Narkose erwachte.
    »Es ist besser, wenn sie die armen Würmchen nicht so sehen, Elena Wladimirowna«, sagte der Arzt. Sie hatte geweint, ihn angefleht. »Bitte, ich möchte mich von ihnen verabschieden.« Doch der Arzt war hart geblieben.
    Alles wäre anders gekommen, wenn Andrej noch gelebt hätte. Doch Andrej hatte sich im Sommer das Leben genommen, wenige Tage, nachdem sie die Krankheit bei ihm diagnostiziert hatten. Schilddrüsenkrebs. Er hatte so viele seiner Kollegen
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