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Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman

Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman

Titel: Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman
Autoren: Sabine Klewe
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näherte.
    »Jurotschka«, flüsterte sie kraftlos. Ein weiterer Schwall warmer, klebriger Flüssigkeit ergoss sich über ihre Schenkel, noch einmal stöhnte sie kaum hörbar, dann hüllte gnädige Dunkelheit sie ein und nahm sie mit ins Land des Vergessens.

1
    Düsseldorf, zehn Jahre später
    Dienstag, 4. Dezember
    Es war bereits dunkel, als sie in die Freiheitstraße bogen. Zu beiden Seiten tauchten schmucke weiße Einfamilienhäuser auf, Doppelhaushälften und kleine Reihenhäuser mit braunen oder grünen Fensterläden. Hinter vereinzelten Scheiben funkelte Weihnachtsbeleuchtung, in einem Vorgarten wand sich eine Lichterkette um das kahle Geäst eines Apfelbaums.
    Spießerhölle, dachte Lydia Louis, während sie langsam an den Häusern vorbeifuhren, doch sie sprach den Gedanken nicht aus. Das Viertel in Köln, in dem ihr Kollege Chris Salomon wohnte, war mindestens genauso spießig, und sie wollte ihn nicht verärgern. Nicht heute. Nicht auf dem Weg zu einer Kinderleiche.
    Das Haus, nach dem sie suchten, war das letzte einer Viererreihe und besaß einen kleinen Seitenanbau. In allen Fenstern brannte Licht, und auch die Straße davor war unwirklich hell erleuchtet. In der Einfahrt parkte hinter dem Notarztwagen, dessen Blaulicht noch blinkte, ein Leichenwagen. Auf der Straße standen zwei Streifen in zweiter Reihe, der Kastenwagen der Kriminaltechnik war vor der Garage des Nachbarhauses abgestellt. Lydia suchte die Umgebung nach dem BMW ihres Chefs ab, doch sie entdeckte ihn nicht.
    Vor der Haustür stand eine blonde Streifenpolizistin mit blassem Gesicht, neben ihr ein dürrer junger Kerl in orangefarbener Tracht, der nervös an einer Zigarette zog. Lydia hielt ihren Ausweis hoch und blieb vor dem Mann stehen.
    »Sind Sie der Notarzt?«
    Der Bursche nickte und schnippte die Zigarette auf die Steinplatten. Im gleichen Augenblick sah er die beiden Kripobeamten schuldbewusst an, bückte sich, hob die Kippe auf und steckte sie in die Tasche.
    »Und?«, fragte Lydia.
    »Äh, ja natürlich«, stammelte der Arzt. »Mädchen, schätzungsweise acht bis zehn Jahre alt. Genickbruch. Sie lag am Fuß der Treppe, vermutlich ist sie gestürzt. Ich konnte nichts mehr für sie tun.«
    Lydias Blick glitt über das Wagenaufgebot vor dem Haus. »Es kann kein Unfall gewesen sein?«
    Der Mann fischte ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche und steckte eine in den Mund. »Sieht nicht so aus.« Er zündete sie an. Seine Finger zitterten.
    Lydia unterdrückte mühsam ihre Ungeduld. »Was heißt das?«
    »Sie hat Kratzer im Gesicht, die eindeutig nicht von dem Sturz stammen. Außerdem wurde sie …« Er stopfte umständlich das Feuerzeug zurück in die Tasche. »Jemand hat sich an ihr vergangen.«
    Lydia tauschte einen Blick mit Chris Salomon, der die Hände in den Taschen seiner Lederjacke vergraben hatte. Sein Gesicht zeigte keine Regung. Aber seine Augen verrieten, dass er ebenso alarmiert war wie sie.
    »Ist mein erster Tag heute«, sagte der Arzt ungefragt. »Mein erster Tag und dann gleich so eine Scheiße.« Er trat von einem Bein auf das andere und blies Qualm in die Luft.
    Sie ließen ihn ohne Antwort stehen und stießen die angelehnte Haustür auf. Drinnen wurden sie mit lautem Gebrüll empfangen.
    »Verdammt, muss denn hier jeder Idiot durch meinen Tatort trampeln?« Gerald Spuntenmeyers Bariton dröhnte durch die Diele. »Alle raus, die hier nichts verloren haben!«
    Zwei Kollegen in Uniform schlüpften hastig an ihnen vorbei nach draußen.
    »Dir auch einen schönen guten Tag, Spunte«, rief Lydia ihm zu.
    »Keiner latscht hier mehr ohne Schutzkleidung herum«, kam donnernd die Antwort zurück. »Das gilt auch für euch zwei.«
    Salomon sah Lydia mit hochgezogenen Augenbrauen an, dann griff er nach einem der weißen Einwegoveralls, die in einer Kiste bereitlagen. Nachdem sie die Anzüge übergezogen hatten, gingen sie zu Spunte, der gerade dem Fotografen Anweisungen erteilte.
    Gerald Spuntenmeyer, der Chef der Kriminaltechnik, zog entschuldigend die Schultern hoch. »Hier sind schon tausend Leute herumgelatscht, spurentechnisch ein Armageddon, sage ich euch. Der Notarzt hat an der Kleinen herumgezerrt wie ein Irrer, davor hat ein Nachbar versucht, sie wiederzubeleben, und der Vater hat sie auf den Schoß genommen. Er hockte noch auf der Treppe und hielt sie im Arm, als wir eintrafen. Wir wissen nicht einmal, wo sie genau gelegen hat. So ein Idiot.«
    »Er hat gerade seine Tochter verloren«, sagte Salomon leise.
    »Und er
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