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Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)

Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)

Titel: Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
Autoren: Frank Wittig
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Auch das Schmerzmittel und Antirheumatikum Vioxx wirkte. Es hatte zuletzt einen Jahresumsatz von 2,5 Milliarden Dollar. Trotzdem kann man nicht sagen, dass die Patienten unter dem Strich einen Nutzen von dem Medikament hatten, denn Hunderte – andere Zahlen sagen Tausende – von ihnen starben durch Vioxx an einem Herzinfarkt oder Schlaganfall. 87 Das Medikament wurde Ende 2004 vom Markt genommen.
    Sie sehen: Medikamente können, obwohl sie wirksam sind, dennoch nutzlos oder sogar gefährlich sein. Deshalb konnte der G-BA im Verdachtsfall einen Nutzenbeweis auch für schon zugelassene Medikamente von den Herstellern fordern. Und jetzt? Jetzt soll absurderweise der G-BA einen Nachweis der »Unzweckhaftigkeit« erbringen, wenn das Medikament von einer Kassenzulassung ausgeschlossen werden soll. Diese Beweislastumkehr bürdet der Kontrollbehörde eine Arbeit auf, die sie kaum leisten kann. Ein wirklich fetter Coup der Pharmalobby. Das Kontrollorgan G-BA wurde damit schwer beschädigt. Diese Regelung muss rückgängig gemacht werden.
2. Gewaltenteilung: Entflechtung von Diagnose und Therapie
    Der zweite wichtige Schritt ist eine weitgehende Entflechtung von Diagnose und Therapie. Zumindest bei den Therapien, die dem Therapeuten einen erheblichen finanziellen Gewinn bieten. Bei allen Operationen etwa. Es ist einfach zu verlockend: Wenn ich mir meine Patienten selbst auf den OP-Tisch diagnostizieren kann, werde ich das immer häufiger tun, als wenn ich an der Therapie nichts verdiene. Das widerwärtige Ende des Spektrums der medizinischen Selbstüberweisung markiert der gesetzeswidrige und empörende Fall des Gynäkologen, der seine Patientin belog, ihr Zyste und Dysplasie attestierte und ihr die gesunde Gebärmutter herausschneiden wollte (siehe Kapitel 1, Abschnitt »Gynäkologen: ganz vorne mit dabei«).
    Das andere Ende des Spektrums dieser lukrativen Selbstüberweisungen befindet sich irgendwo im unscharfen Bereich der Ermessenssache. Wird die Patientin mit der Gebärmuttersenkung von Beckenbodengymnastik und der Hormonsalbe so viel profitieren, dass sie ihre Kontinenzprobleme in den Griff bekommt? Oder ist die Gebärmutterentfernung zu empfehlen? Schneide ich meinem Schmerzpatienten ein Stück von seiner Bandscheide ab, damit er möglichst schnell wieder zurück ins Büro kann, oder sage ich: »Auszeit!«, dazu Schmerzmittel, Krankengymnastik und Hinführung zu einem gewissenhaften Umgang mit der eigenen Rückengesundheit (Sport)?
    Ermessenssache! Das Schlimme ist, dass der Mediziner mit der Entscheidung für eine aufwendigere Behandlung ökonomisch für seinen Betrieb und für sich immer die richtige Entscheidung trifft. Es ist ganz klar: Wenn ich vom Direktor meiner Klinik gehalten bin, die Zahl der Operationen zu erhöhen, weil sich das für die Klinik (und für mich: Sonderbonus) rechnet, werde ich mich bei den Ermessensfällen häufiger für eine Operation entscheiden. Und wenn ich ein niedergelassener Facharzt bin, der seine Patienten selbst in einer Belegklinik um die Ecke operieren kann, dann haben die 1500 Euro »Extragewinn« durch einen Eingriff schon eine erhebliche Anziehungskraft. Wir erinnern uns: 80 Prozent der Rückenoperationen, die Patienten von ihren Orthopäden empfohlen wurden, hielten die unabhängigen Orthopäden, die als Zweitgutachter in der Studie der Techniker Krankenkasse urteilten, für überflüssig. Wie viele davon mögen Selbstüberweisungen gewesen sein?
    Die Gewaltenteilung ist aus gutem Grund eines der wichtigsten Prinzipien der Demokratie. Insgesamt hat hier die Medizin erheblichen Nachholbedarf. Dabei gibt es die Entflechtung in Ansätzen schon: Es gibt Kliniken, die sich ausschließlich auf Diagnostik spezialisiert haben. Es sollte auch zu einer Professionalisierung der Diagnostik beitragen, wenn Technik und Personal speziell darauf ausgerichtet sind. Die Zahl der Operationen würde auf das nötige Maß zurückgehen. (Sie erinnern sich: Norwegen hat nur halb so viele Krankenhausbetten wie Deutschland.) Natürlich muss in diesem geteilten System verhindert werden, dass die Kliniken für Diagnostik von den auf die Therapie spezialisierten Kliniken für Überweisungen bezahlt werden. So wie heute schon Hausärzte von Kliniken Geld für Überweisungen bekommen: die berüchtigte »Kopfpauschale«.
3. Leitlinien müssen unabhängig erstellt werden
    Auch beim nächsten Vorschlag zur Eindämmung des medizinischen Wildwuchses geht es um Gewaltenteilung. Es geht um die Wissenschaftlichen
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