Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde
Autoren: Michail Bulgakow
Vom Netzwerk:
rotgoldenen ukrainischen Feldern. In einer Staubwolke marschieren die staubgepuderten Junkerkompanien. Das alles war einmal, war wirklich, und nun ist es aus. Eine Schande. Ein Blödsinn.
    Jelena zog die Portiere auseinander, und in der dunklen Öffnung zeigte sich ihr rötlichblonder Kopf. Den Brüdern schickte sie einen sanften Blick, der Uhr aber einen beunruhigten, sehr beunruhigten. Das war verständlich. In der Tat, wo blieb Talberg? Die Schwester war aufgeregt.
    Um ihre Aufregung nicht zu zeigen, wollte sie mitsingen, hielt aber plötzlich inne und hob den Finger.
    »Wartet mal. Hört ihr?«
    Die Kompanie blieb plötzlich auf allen sieben Saiten stehen: Haalt! Alle drei horchten – ja, Kanonendonner. Schwer, fern und dumpf. Da, noch einmal: Bum … Nikolka legte die Gitarre beiseite und stand rasch auf, ächzend erhob sich auch Alexej.
    Im Wohnzimmer war es stockdunkel. Nikolka stieß gegen einen Stuhl. Vor den Fenstern die Oper »Die Nacht vor Weihnachten« – Schnee und Lichter. Flimmernd und blinkend. Nikolka drückte sich ans Fenster. Aus seinen Augen schwanden die Hitze und die Schule, die Augen forschten höchst gespannt: Wo? Er zuckte die Unteroffiziersschultern.
    »Weiß der Teufel. Scheint, als ob bei Swjatoschino geschossen wird. Merkwürdig, so nah kann’s doch nicht sein.«
    Alexej stand im Finstern, Jelena näher zum Fenster, und es war zu sehen, daß ihre Augen vor Angst dunkel waren. Warum ist Talberg noch nicht da? Der Ältere spürte ihre Erregung und sagte daher kein Wort, obwohl er gerne etwas gesagt hätte. In Swjatoschino also. Kein Zweifel. Geschossen wird zwölf Kilometer vor der STADT, nicht weiter. Was bedeutet das?
    Mit einer Hand faßte Nikolka den Fensterriegel, mit der anderen drückte er die Nase gegen die Scheibe, als wolle er sie zerdrücken und hinauskriechen.
    »Ich möcht gerne hin, erfahren, was los ist.«
    »Ja, du hast dort gerade noch gefehlt.«
    Jelenas Stimme klang beunruhigt. So ein Unglück. Ihr Mann sollte spätestens – hören Sie: spätestens heute nachmittag um drei zurückkehren, und jetzt war es schon zehn.
    Schweigend kehrten sie ins Eßzimmer zurück. Die Gitarre schwieg finster. Nikolka brachte aus der Küche den Samowar, der drohend zischte und spuckte. Auf dem Tisch standen Tassen, außen mit zarten Blumen verziert und innen vergoldet, besondere Tassen, kunstvollen Säulen gleich. Als die Mutter Anna Wladimirowna noch lebte, war dies das Sonntagsservice der Familie gewesen, jetzt benutzten die Kinder es jeden Tag. Das Tischtuch war trotz der Kanonen, der zermürbenden Unruhe und allen Unsinns schneeweiß gestärkt. Dafür sorgte Jelena, die nicht anders konnte, dafür sorgte die im Hause Turbin aufgewachsene Anjuta. Der Fußboden glänzte, und jetzt, im Dezember, standen auf dem Tisch in einer hohen Milchglasvase hellblaue Hortensien und zwei traurige, glühende Rosen, die die Schönheit und Festigkeit des Lebens bestätigten, obwohl auf den Zugangswegen zur STADT ein heimtückischer Feind lauerte, der wohl imstande war, die herrlich verschneite STADT zu zerschlagen und die Reste der Ruhe mit den Stiefeln zu zertreten. Blumen. Diese Blumen waren ein Geschenk von Jelenas treuem Verehrer, dem Gardeleutnant Leonid Jurjewitsch Scherwinski, einem Freund der Verkäuferin im berühmten Süßwarengeschäft »Marquise« und der Verkäuferin im gemütlichen Blumenladen »Flora aus Nizza«. Im Schatten der Hortensien standen ein blaugemustertes Tellerchen mit ein paar Scheiben Wurst, Butter in einer Glasdose und ein Brotkorb mit einer Brotsäge und einem länglichen Weißbrot. Wie gemütlich hätte man Tee trinken und essen können, wären nicht diese betrüblichen Umstände gewesen. Ach … Ach … Auf der Teekanne ritt ein aus bunter Wolle gehäkelter Hahn, und der blanke Samowar spiegelte verzerrt die drei Gesichter der Turbins; Nikolkas Wangen sahen wie die von Momus aus. In Jelenas Augen stand Trauer, und ihre rötlich behauchten Strähnen hingen mutlos.
    Talberg war irgendwo mit dem Geldzug des Hetmans steckengeblieben und hatte den Abend verdorben. Weiß der Teufel, vielleicht war ihm etwas zugestoßen? Die Brüder kauten mißmutig ihre Brote. Vor Jelena erkaltete die Tasse Tee, daneben lag das Buch »Der Herr aus San Franzisko«. Ihre verschleierten Augen sahen blicklos auf die Worte:
    Dunkelheit, Ozean, Sturm.
    Jelena las nicht.
    Schließlich hielt es Nikolka nicht mehr aus:
    »Ich möchte doch wissen, warum so nah geschossen wird. Es kann schließlich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher