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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde
Autoren: Michail Bulgakow
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knallt die Hacken zusammen, »Kommandeur der Schützenschule, Genosse Scherwinski.«
    Aus der Tasche holt er einen großen Flitterstern und befestigt ihn links an der Brust. Der Nebel des Traums umschwebt ihn, und sein Gesicht tritt aus den Schwaden wie ein Puppengesicht.
    »Das ist Lüge«, schreit Jelena im Schlaf. »Sie gehören aufgehängt.«
    »Bitteschön«, antwortet der Alptraum. »Riskieren Sie es, Madame.«
    Er stößt einen frechen Pfiff aus und verdoppelt sich. Auf dem linken Ärmel erscheint ein Rhombus, und in dem Rhombus glüht golden ein zweiter Stern. Strahlen gehen von ihm aus. Auf der rechten Schulter entsteht eine blasse Ulanenschulterklappe. Die rechte wird blau, die linke steckt in einer rötlichen Joppe. Das rechte Bein steckt in einer Reithose aus dünnem blauen Tuch mit einer Litze, das linke in Schwarz. Nur die Stiefel sind einheitlich blank und unnachahmlich modern.
    »Stiefel – mit Fasson«, singt Nikolka zur Gitarre. Die Kopfbedeckung hat zwei Seiten.
    Die linke Hälfte ist tarngrün und hat einen halben roten Stern, die rechte glänzt hell und hat eine Kokarde.
    »Ich fahre«, sagt Jelena im Schlaf mit Verachtung und Entsetzen.
    »Verführer«, antwortet Scherwinski.
    »Abenteurer! Abenteurer!« schreit Jelena.
    »Entschuldigen Sie«, antwortet der zweifarbige Alptraum. »Alles doppelt, ich habe alles doppelt, aber nur einen Hals, und der gehört nicht dem Staat, sondern mir. Wir werden leben.«
    »Der Tod kommt, wir werden sterben«, singt Nikolka und geht hinaus.
    Er trägt die Gitarre im Arm, sein Hals aber ist blutig, und um seine Stirn liegt ein gelbes Kränzchen mit kleinen Ikonen. Jelena weiß sofort, daß er sterben wird, sie schluchzt bitterlich und erwachte mit einem Schrei in der Nacht.
    Die Nacht schwamm und schwamm.

    Und endlich hatte auch Petka Stscheglow einen Traum.
    Petka war noch klein, deshalb interessierte er sich weder für die Bolschewiken noch für Petljura oder die Liebe der Erwachsenen. Sein Traum war einfach und fröhlich wie der Sonnenball.
    Petka geht über eine große grüne Wiese, und auf dieser Wiese liegt eine glitzernde diamantene Kugel, größer als Petka selbst. Erwachsene kleben im Traum an der Erde, wenn sie fliehen wollen, sie stöhnen, wälzen sich und suchen die Füße aus dem Morast zu reißen. Kinderbeine aber sind flink und frei. Petka läuft zu der diamantenen Kugel und hebt sie fröhlich lachend auf. Die Kugel zerfällt in Tausende funkelnder Tröpfchen, die auf ihn niedersprühen. Das war Petkas ganzer Traum. Vor Vergnügen lachte er mitten in der Nacht laut auf. Hinter dem Ofen zirpte vergnügt das Heimchen für ihn. Petka träumte andere Träume – leicht und fröhlich, und das Heimchen zirpte und zirpte irgendwo in einer Ritze hinter dem Eimer sein Lied und belebte die schlaftrunkene, murmelnde Nacht der Familie. Draußen blühte und blühte die Nacht. In ihrer zweiten Hälfte bedeckte sich Gottes schwerer blauer Vorhang, der die Welt umspannt, mit Sternen. Es sah so aus, als würde hinter diesem Vorhang an einem unermeßlich hohen Altar eine Abendmesse gelesen. Lichtchen wurden entzündet, und sie zeichneten sich als Kreuze, Büsche und Quadrate auf dem Vorhang ab. Über dem Dnepr ragte das mitternächtliche Wladimir-Kreuz von der sündigen, blutüberströmten und verschneiten Erde in die düstere Höhe. Von weitem schien es, als wäre der Querbalken verschwunden und mit dem senkrechten Balken verschmolzen und als hätte sich das Kreuz in ein drohendes scharfes Schwert verwandelt.
    Aber man braucht es nicht zu fürchten. Alles wird vorübergehen: Leiden, Qualen, Hunger, Blut und Massensterben. Das Schwert wird verschwinden, aber die Sterne werden auch dann noch da sein, wenn von unseren Leibern und Taten auf Erden kein Schatten mehr übrig ist. Die Sterne aber werden immer so da sein, schön und flimmerig. Es gibt keinen Menschen, der dies nicht wüßte. Warum also wollen wir unseren Blick nicht zu den Sternen erheben? Warum?

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1. Auflage April 2005
Sammlung Luchterhand
    Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 1992 by
    Volk und Welt
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Satz: omnisatz GmbH, Berlin
    eISBN 978-3-641-09936-7

    www.luchterhand-literaturverlag.de
    www.randomhouse.de

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