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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde
Autoren: Michail Bulgakow
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das halbe Gesicht zu sehen. Es zeigt einen schwarzen Backenbart. Den schwarzen Backenbart des verhaßten Onegin. Turbin schleicht voller Grimm, Argwohn und Tapferkeit, und in seiner Tasche ist der treue Browning. Ach, wenn er doch das Gesicht dieses verdammten Menschen sehen könnte! Aber das Gesicht zeigt sich nicht. Nein. Der Mann hat kein Gesicht. Oh, prophetische Träume! Oh, glaubt an Träume. Wenn jemand sagt, man solle ihnen nicht glauben – lächerlich, schmählich, hört nicht darauf. Es gibt prophetische Träume.
    Da, der Mann ohne Gesicht hat den kleinen Garten durchquert, über dem sich Zweige wölben, und geht direkt auf die ersehnte Tür zu. Sie öffnet sich von selbst und läßt den Mann in Julias Haus ein. So ist das also, denkt Turbin ingrimmig, so ist das also. Ich bringe ihn um.
    Nach ihm hinein in die Tür, ins Wohnzimmer. Und da sieht er: Der verzauberte Onegin küßt Julia. Und hat wieder kein Gesicht. Julia zeigt lächelnd die Zähne. In ihrem Gesicht ist Liebe. Turbin weiß, daß Eifersucht sinnlos ist. Mit einer Waffe kann man Liebe nicht erzwingen. Der Unbekannte ohne Gesicht hat Julia gefügig gemacht. Er, Turbin, hat das nicht vermocht – was soll man machen. Aber das ist Wirklichkeit. Im Traum ist er voller Ingrimm. Ich bringe ihn um! Ach, Doktor Turbin, bitte nicht, vergessen Sie Julia, lassen Sie das, sie ist eine schlechte Frau!
    Er dringt hinter Onegin ins Wohnzimmer ein und sieht, wie Onegin Julia küßt und aufs Sofa legt. Turbin greift in die Tasche und holt den Browning hervor. Julia schreit entsetzt, Onegin dreht sich um und hat noch immer kein Gesicht. Da sind purpurrote Lippen, da ist eine Nase, aber das fügt sich nicht zu einem Ganzen. Ein Gesicht wird nicht daraus. Der Browning läßt Turbin im Stich. Turbin zieht durch, der Bügel gibt nach wie eine Wachskerze in der Hand, der Browning knackt, die Feder in seinem Innern wimmert, aber kein Schuß fällt. Das gesichtslose Gesicht wird drohend und gefährlich. Ja, er ist gefährlich, der backenbärtige Onegin, und es ist zu spüren, daß er gefährliche Unterstützung hat. Kein Wort sagt der tückische Onegin, aber Turbin spürt bereits, daß die Tscheka da ist, um seine Seele zu holen. Turbin dreht sich um wie ein Wolf, was soll er tun, wenn der Browning nicht schießt? Dumpfe Stimmen in der Diele – sie kommen. Tschekisten kommen! Turbin weicht langsam zurück und spürt, wie gemeine Angst in seine Seele kriecht. Schreckliche Eifersucht, leidenschaftliche unerwiderte Liebe und Verrat, aber die Tscheka ist schlimmer als alles auf der Welt. »Ach du …«, sagt Turbin knirschend zu Julia.
    Mal gehe ich,
mal stehe ich,
nur immer Julia
sehe ich!
    Er droht mit der Pistole. Aber was ist eine Pistole wert, die nicht schießt? Turbin weicht zurück zur Tür, sie öffnet sich in ein schwarzes Loch, einen Schuppen, und an dessen Ende ist Licht – sie kommen mit Taschenlampen und suchen Turbin. Das schlimmste, unter den Tschekisten sieht er einen in Grau, mit Papacha. Das ist der Mann, den Turbin im Dezember in der Malo-Prowalnaja-Straße verwundet hat. Wildes Entsetzen packt Turbin. Er versteht nichts. Das war doch ein Petljura-Mann, und dies sind Tschekisten, Bolschewiken! Das sind doch Feinde? Feinde, verdammt nochmal! Haben die sich jetzt etwa zusammengetan? Wenn ja, ist Turbin verloren!
    »Faßt ihn, Genossen!« schreit jemand. Sie stürzen sich auf Turbin. »Faßt ihn! Nehmt ihn fest!« brüllt der nicht ganz erschossene Vampir. »Haltet ihn!«
    Alles vermischt sich. In dem Ring der Ereignisse, die einander abwechseln, ist eines klar – Turbin hat stets das Nachsehen, er ist immer und für alle ein Feind. Ihm wird kalt.
    Er erwachte. Nichts! Welch ein Glück. Der Angeschossene, die Tschekisten – nicht da.
    Auf dem Stuhl brannte friedlich und gleichmäßig das Lämpchen, die Uhr tickte, da lag das Zigarettenetui. Im Zimmer war es warm. Auf dem Tisch stand im Schatten Julias Bild mit dem lackierten Rahmen. Im Schatten.
    »Erstens, erstens«, murmelte Turbin, »warum schlafe ich … was ist mit den Petljura-Leuten? Womöglich holen sie mich?«
    Er griff nach der Uhr. Viertel vor fünf. Die Nacht war ruhig, nichts störte die Schlaftrunkenheit. Der Rauch von Turbins Papirossa zog in Schwaden. Er ließ sie fallen, sie brannte ein münzgroßes Loch ins Laken. Dieses glimmte ein wenig und erlosch. Turbin lag in tiefem Schlaf. Das Bild der schlaflosen Julia stand im tiefen Schatten und sah den schlafenden Liebhaber mit untermalten
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