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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
Autoren: James Surowiecki
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Masse handle, so Le Bon, agiere sie unweigerlich dumm. Eine Masse möge tapfer, feige oder brutal sein, doch nie und nimmer gescheit. Denn »in dem Haufen, der eine Masse bildet«, ergebe sich »keineswegs eine Summe und ein Durchschnitt der Bestandteile«, sondern bloß Dummheit, »weil die Massen niemals Handlungen ausführen können, die eine besondere Intelligenz beanspruchen« und »dem allein stehenden Menschen intellektuell stets untergeordnet« seien. Le Bons Begriff von der »Masse« umfasst nicht nur den augenscheinlich kollektiv rabiaten Pöbel oder aufrührerischen Mob, sondern praktisch alle Arten von Gruppen, die Entscheidungen fällen.
    Darum wetterte Le Bon auch gegen Schwurgerichte: Sie »sprechen Urteile aus, die jeder Geschworene als Einzelner missbilligen würde«. Parlamente, so erklärte er, beschlossen Gesetze und Verordnungen, die der einzelne Abgeordnete für sich allein ablehnen würde. Ja, »die Entscheidungen von allgemeinem Interesse, die von einer Versammlung hervorragender, aber verschiedenartiger Leute getroffen werden, sind jenen, welche eine Versammlung von Dummköpfen treffen würde, nicht merklich überlegen«.
    Ich folge im Verlauf dieses Buches dem Beispiel Le Bons, indem ich die Begriffe »Gruppe«, »Menge« und »Masse« breit definiere und darunter alles – vom Quiz-Show-Publikum über Konzerne mit Milliardenumsätzen bis hin zu einer Menge, die Sportwetten tätigt – umfasse. Manche solcher Gruppen, wie beispielsweise Managementteams, von denen im 9. Kapitel die Rede sein soll, sind streng organisiert und sich ihrer Gruppenidentität stark bewusst. Andere große Gruppen, wie etwa die Autofahrerhorden in Verkehrsstaus, mit denen ich mich im 7. Kapitel befasse, sind ohne jede förmliche Organisation. Wieder andere, so die Börsenmärkte, bestehen hauptsächlich im Sinne einer sich unentwegt verändernden Ansammlung von Zahlen und Geldwerten. All diese Gruppen sind verschiedenartig und doch durch die Fähigkeit geeint, kollektiv Entscheidungen zu treffen und Probleme zu lösen – selbst wenn es den Personen, die diesen Gruppen angehören, nicht immer bewusst ist, dass sie eben das leisten. Und was für manche jener Gruppen nachweislich gilt – nämlich dass sie klug handeln und ausgesprochen geschickt im Lösen von Problemen sind -, trifft, wenn nicht auf alle, so doch auf die meisten potenziell zu. Von dieser Warte aus betrachtet hat Gustave Le Bon die Sache in genau umgekehrter Weise gesehen. Wenn man eine hinreichend große und mannigfaltige Gruppe von Menschen zusammenbringt und sie auffordert, »Entscheidungen zu treffen, die das Allgemeininteresse berühren«, so werden die Entscheide dieser Gruppe mit der Zeit »denen eines isolierten Individuums geistig [überlegen] sein«, ganz gleich, wie intelligent oder gut informiert die Einzelperson ist.

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    Das Gewicht eines Ochsen zu schätzen ist wohl kaum eine komplizierte Aufgabe. Wie schon erwähnt, kann kollektive Intelligenz aber auf alle Probleme angesetzt werden, mögen sie auch noch so komplex sein. Ich konzentriere mich in diesem Buch auf drei Arten von Problemen. Die erste Kategorie möchte ich als Kognitions probleme bezeichnen – dabei geht es um Fälle, für die es definitive Lösungen gibt oder geben wird. Um solche Kognitions- oder Erkenntnisprobleme handelt es sich beispielsweise bei Fragen wie: »Wer gewinnt in diesem Jahr das Endspiel der Champions League?« oder: »Wie viele Exemplare des vorliegenden Buches werden wir im laufenden Jahr verkaufen?« Das trifft auch auf die Frage zu: »Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Medikament von der Arzneimittelbehörde zugelassen wird?« Es handelt sich da um Fragen, auf die es vielleicht nicht eine einzige richtige Antwort geben wird, für die manche Antworten jedoch gewiss besser sind als andere. Fragen wie: »Was wäre der beste Standort für das neue öffentliche Schwimmbad?« stellen ebenfalls Kognitionsprobleme dar.
    Die zweite Problemart wird gewöhnlich als Koordinierungs problem bezeichnet. Bei Koordinierungsproblemen haben Mitglieder einer Gruppe (des Marktes, U-Bahn-Benutzer, Studenten auf der Suche nach einer preisgünstigen Bude) eine Möglichkeit zu finden, ihr Verhalten untereinander zu koordinieren, wohl wissend, dass jeder von ihnen Gleiches zu tun versucht. Wie kommen Käufer und Verkäufer zusammen, und wie handeln sie einen fairen Preis aus? Wie organisieren Unternehmen ihre geschäftlichen Aktionen? Wie kommt man als Fahrer
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