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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
Autoren: James Surowiecki
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imstande wäre. Um dieses Zieles willen nutzte er diese Ochsen-Wette zu einem Spontanexperiment. Nach der Auszählung und Preisverleihung borgte sich Galton von den Veranstaltern die Wettkarten und unterwarf sie mehreren statistischen Tests. Er ordnete die Schätzungen – es waren 787, nachdem er 13 wegen Unlesbarkeit hatte eliminieren müssen – in einer Rangfolge vom höchsten bis zum niedrigsten Wert. Weil er neugierig war, ob sie dem Verlauf der von ihm entdeckten statistischen Glockenkurve entsprachen, stellte er die Ergebnisse graphisch dar. Danach addierte er, unter anderem, die Schätzwerte aller Wettteilnehmer, um den mittleren Wert zu errechnen – es war die Zahl, die gewissermaßen die kollektive Weisheit der Menge auf jener Messe nahe Plymouth darstellte. Wäre die Menge der dortigen Wettteilnehmer eine Einzelperson gewesen – auf genau das Gewicht hätte ein solches Individuum das Gewicht dieses Ochsen geschätzt.
    Nun hatte Galton zweifellos erwartet, dass der mittlere Schätzwert weit daneben liegen würde. Und es scheint ja zunächst durchaus plausibel: Die Mischung aus ein paar extrem kundigen Personen, etlichen mittelmäßigen und einem Haufen dumpfer Individuen müsste doch ein entsprechend unsinniges Ergebnis zeitigen. Aber Galton hatte sich geirrt. Denn die Ausstellungsbesucher hatten das Gewicht des geschlachteten, ausgeweideten Ochsen auf 1197 [englische] Pfund geschätzt. Und nach Schlachtung und Ausweidung wog das Tier dann genau 1198 Pfund. Mit anderen Worten: Das Gruppenurteil traf fast haargenau ins Schwarze. Also konnten Bildung und Fachwissen vielleicht doch keine so immense Rolle spielen. »Das Resultat«, schrieb Galton später, »scheint ein wenig mehr für die Vertrauenswürdigkeit eines demokratischen Urteils zu sprechen, als man hätte erwarten mögen.« Das aber ist nun wirklich – milde ausgedrückt – ein typisch englisches Understatement.

2
    An jenem Herbsttag ist Francis Galton über die schlichte, dafür aber umso nachhaltigere Wahrheit gestolpert, die den Kern dieses Buches ausmacht: Unter den richtigen Umständen sind Gruppen bemerkenswert intelligent – und oft klüger als die Gescheitesten in ihrer Mitte. Für das kluge Verhalten solcher Gruppen bedarf es eben nicht dominanter, außergewöhnlich gescheiter Mitglieder. Mit anderen Worten: Auch wenn die allermeisten Angehörigen einer Gruppe weder sonderlich informiert noch zu rationalem Denken imstande sind, vermögen sie als Kollektiv gleichwohl vernünftige Entscheide zu treffen. Und das ist gut so, da der Mensch für Entscheidungsfindungen keineswegs ideal ausgerüstet und vollkommen ist. Jeder für sich allein genommen, sind wir vielmehr, um den Ökonomen Herbert Simon zu zitieren, bloß »beschränkt rational«. Jeder von uns verfügt über weniger Informationen, als ihm lieb sein könnte. Wir haben lediglich einen begrenzten Blick in die Zukunft. Den meisten von uns fehlt es an der Gabe – und am nötigen Willen -, hochkomplizierte Kosten-Nutzen-Rechnungen zu erstellen. Statt darauf aus zu sein, die jeweils beste aller möglichen Lösungen zu finden, geben wir uns häufig mit einer passablen Variante zufrieden. Und wir lassen uns in unserem Urteil oft von Gefühlen leiten. Trotz all solcher Beschränkungen ist es aber so, dass unsere kollektive Intelligenz oft exzellent funktioniert, wenn unsere individuell unvollkommenen Urteile auf die richtige Art und Weise vereinigt werden.
    Diese kollektive Intelligenz beziehungsweise das, was ich als »Die Weisheit der Vielen« bezeichne, tritt in mannigfachen Formen zutage. Sie ist der Grund dafür, dass die Internet-Suchmaschine Google eine Milliarde Websites scannen und genau die eine Seite finden kann, die die gesuchte Information enthält. Sie ist der Grund, warum es so schwer ist, einen Lottosechser zu erzielen, und sie hilft zu verstehen, warum in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten ein paar hundert Amateurhändler einer Börse im abgelegenen US-Bundesstaat Iowa bei Wahlvorhersagen besser abschnitten als Gallup-Prognosen. Die Weisheit vieler vermag uns einiges darüber zu sagen, warum die Börse funktioniert (und warum sie gelegentlich nicht funktioniert). Das Konzept von kollektiver Vernunft trägt zur Erklärung des Phänomens bei, warum man im Tankstellenshop um zwei Uhr morgens noch eine Packung Milch vorfindet, und sie erzählt uns sogar etwas Wichtiges darüber, warum Menschen Steuern zahlen und unbedeutende lokale Fußballvereine unterstützen. Es
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