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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
Autoren: James Surowiecki
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es darum geht, die Anzahl von Geleebonbons in einem Glas zu schätzen oder zu erraten, wer im Endspiel der Fußballweltmeisterschaft 1954 das dritte Tor schoss. Was vermag sie aber unter Bedingungen echter Ungewissheit zu leisten, also dann, wenn die richtige Antwort allem Anschein nach offen ist – weil das Faktum noch gar nicht existiert?
    Der Beantwortung dieser Frage ist die ganze berufliche Arbeit Robert Walkers gewidmet. Walker ist Sportwettendirektor im Hotel Mirage und im Casino von Las Vegas; er hat somit Woche für Woche tausende Wetten für sämtliche möglichen Sportarten, von Profifußball bis zu Basketballmatches von Topteams der Universitäten, zu erstellen. Für all diese Glücksspiele muss Walker eine Linie (beziehungsweise eine Punktverteilung) anbieten, mittels der er den Wettenden erklärt, welche Mannschaft Favorit ist und um wie viele Punkte sie vorn liegt. So eine Linie funktioniert ganz einfach. Angenommen, in dieser Woche ist das Footballteam der »New York Giants« gegenüber den »Rams« aus Saint Louis mit dreieinhalb Punkten favorisiert – wenn Sie auf die »Giants« setzen, müssen diese folglich mit vier oder mehr Punkten Unterschied gewinnen, damit Ihre Wette sich lohnt. Falls Sie umgekehrt jedoch auf die »Rams« setzen, müssen diese die »Giants« um dreieinhalb (oder weniger) Punkte abhängen. Bei anderen Sportarten werden die Wetten in Form von Gewinnchancen gestaltet: Wenn Sie auf den Favoriten setzen, müssen Sie etwa 150 Dollar platzieren, um 100 Dollar zurückzubekommen; sollten Sie dagegen den vermeintlich Schwächeren favorisieren, müssten Sie 75 Dollar auf den Tisch legen, um am Ende eventuell 100 Dollar einstreichen zu können.
    Walkers Aufgabe als Buchmacher besteht nun nicht etwa darin herauszufinden, welche von zwei Mannschaften siegen wird. Das überlässt er, zumindest in der Theorie, den Wettteilnehmern. Er hat vielmehr dafür zu sorgen, dass die Glücksspieler auf beide Mannschaften etwa gleichhohe Beträge setzen. Gelingt es ihm, so weiß er, dass er die Hälfte der eingegangenen Wetten gewinnt und die andere Hälfte verliert. Und wieso kann Walker sich mit einem solchem Gleichstand begnügen? Weil Buchmacher bei jedem Wetteinsatz, den sie gewinnen, mehr einnehmen, als sie bei jeder Wette verlieren, die zu ihren Ungunsten ausgeht. Wenn man bei einem Buchmacher eine Wette für ein Glücksspiel nach dem Punktverteilungssystem platziert, muss man elf Dollar einsetzen, um zehn zu gewinnen. Stellen Sie sich nun einmal eine Wettsituation mit nur zwei Teilnehmern vor, von denen der eine auf den Favoriten, der andere auf das schwächere Team setzt. Dann würde Walker 22 Dollar einnehmen (von jedem elf) und dem Gewinner der Wette 21 Dollar auszahlen. Der eine Dollar, den er behält, macht seinen Gewinn aus. Diese kleine Spanne – »vigorish« oder kurz »vig« genannt – hält den Buchmacher über Wasser. Doch er kann sich dieses Vorteils nur sicher sein, wenn er zu verhindern weiß, dass zu viel Geld auf einer Seite der Wette ruht.
    Damit diese Strategie gelingt, muss Walker die Punktverteilung so massieren, dass für beide Mannschaften Einsätze hereinkommen. »Die Linie, die wir brauchen, ist die Linie, die das Publikum spaltet, weil man dann erst den ›vig‹ verdient«, erklärt Walker. In der Woche vor dem Endspiel um die »Super Bowl« 2001, dem US-amerikanischen Footballfinale, beispielsweise lagen bei Mirage auf der Startlinie die »Baltimore Ravens« um zweieinhalb Punkte vorn. Nachdem diese Linie publik geworden war, verzeichnete Mirage einige frühe Einsätze in Höhe von 3000 Dollar auf Baltimore. Das war zwar nicht viel, aber genug, um Walker zu veranlassen, die Punktdifferenz auf drei zu erhöhen. Wenn alle auf Baltimore setzen wollten, war die Linie wahrscheinlich nicht die richtige. Folglich wurde die Linie verändert. Die Startlinie gibt der Buchmacher vor; danach bewegt sie sich weitgehend in Reaktion auf das Verhalten der Wettspieler – ähnlich wie an der Börse die Aktienkurse mit dem Ansteigen und Sinken der Nachfrage von Investoren.
    Theoretisch ist es so, dass die Startlinie irgendwo festgelegt wird, und man könnte erwarten, dass sie sich von da an automatisch anpasst, sodass die Punktdifferenz jedes Mal steigt oder fällt, wenn sich zwischen den Summen, die auf jeder Seite gesetzt werden, ein signifikantes Ungleichgewicht ergibt. Im Mirage hätte man keine Mühe, es so zu halten: Walkers Computerdatenbank zeichnet die Einsätze laufend auf.
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