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Die Wedding-Planerin

Titel: Die Wedding-Planerin
Autoren: Katarina Rathert
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zurück und öffnete mir die
     Augen.
    Draußen regnete es, und Andreas hatte sich hinter seinem neuerworbenen Rechner verschanzt, sodass ich beschloss, mein Gerümpelregal
     endlich mal aufzuräumen. Während der Regen unsere Fenster putzte, machte ich mich ans Werk. Es dauerte etwa fünf Minuten,
     bis mir ein blaues, mit Bärchenmotiven verziertes Kunstlederalbum in die Hände fiel. Da ich nicht aufräumen kann, ohne Schätze
     zu sichten, ließ ich mich auf dem Dielenboden nieder und begann zu blättern. Meine Eltern haben in diesem Buch die Entwicklung
     meiner ersten Lebensjahre bildlich festgehalten. Neben den üblichen Babyfotos, der ersten Haarsträhne und der Geburtsanzeige
     ist vor allem mein Kindergartenaufenthalt dort dokumentiert. Ein Bild stach mir ins Auge. Jauchzend sprang ich auf und hielt
     Andreas meine Kindheit unter die Nase: «Guck mal», versuchte ich seine Aufmerksamkeit zu erregen, «ich war schon mal verheiratet.»
    Andreas brummte und warf einen kurzen Blick auf das Bild. «Die Braut da bist aber nicht du», stellte er fest und widmete
     sich wieder der Installation seines Mailprogramms.
    «Hä? Woher willst du denn wissen, wie ich als Kind aussah?», gab ich beleidigt zurück.
    «Das weiß ich in der Tat nicht sicher», gab er zu. «Aber das Kind, das die Braut ist, hat Locken. Die hast du nie gehabt,
     soweit ich weiß», argumentierte er mich ins Aus.
    Ich sah mir das Foto näher an. Es stimmte – das Kind auf dem Foto war gelockt, während meine Haare schon immer ganz glatt
     waren. Aber es sah mir sonst zum Verwechseln ähnlich – immerhin |14| bin ich noch nicht so verwirrt, dass ich mich selbst nicht erkennen würde. Es half nichts, ich musste das klären, sonst
     könnte ich nicht weiter aufräumen. Ein Anruf bei meiner Mutter, der ich Bild, Aufnahmedatum (toll, bei Abzügen wurde damals
     immer ein Aufkleber mit der Jahreszahl draufgeklebt, viel netter als ein Dateiname) und noch etwa ein Dutzend weitere Details
     erklärte, brachte Licht ins Dunkel. Bei dem Mädchen handelte es sich offenbar um meine damals aktuelle Freundin (warum erinnere
     ich mich nicht an sie?), die im Kindergarten den, eigentlich von mir begehrten, Sebastian heiraten durfte. Ich stand –
     verdeckt durch das traute Paar – im Hintergrund. Und ja, bei Licht und mit der Leselupe meiner Oma betrachtet, konnte ich
     mich erkennen. Mir hing eine rosa Stola um den Hals.
    Nach und nach kehrte die Erinnerung an diesen Tag zurück: Im Kindergarten gab es eine geheimnisvolle Kiste, die nur die Erzieherinnen
     öffnen durften. In ihr lagerten die Kostüme für eine perfekte Kinderhochzeit: ein kleiner schwarzer Anzug für einen Jungen,
     jede Menge Schals und Boas für die Mädchen und das absolute Highlight, ein Brautkleid, gefertigt aus weißer Spitze, wie
     wir glaubten. Eigentlich handelte es sich dabei um eine alte Gardine, die eine freundliche Mutter irgendwann vom Vor- zum
     Umhang genäht hatte, doch das tat der Faszination keinerlei Abbruch. Täglich belagerten wir unsere Erzieherinnen, doch bitte,
     bitte endlich Hochzeit mit uns zu feiern. Aber das Procedere war schwierig – es musste sich erst ein Paar finden, das zu
     heiraten bereit war. Das waren die Mädchen nur zu sehr, allerdings weigerten sich – wie so oft im Leben – die Jungen.
    Jungen, die Mädchenspiele wie Heiraten mitmachten, gehörten eher zu den Weicheiern und wurden sehr schnell zu Außenseitern,
     das wollte natürlich niemand riskieren. Zudem folgten die Damen, denen unsere Aufsicht oblag, ästhetischen Gesichtspunkten
     – das Paar sollte hübsch zusammen aussehen und sich nicht die Augen auskratzen. Einfacher gesagt als getan, zu einer Zeit,
     in der die |15| Mädchen in der Regel größer sind als die gleichaltrigen Jungen und Jungs nicht mit Mädchen spielen können, weil sie die Welt
     entdecken müssen.
    Wir wären keine richtigen Mädchen gewesen, wenn wir nicht eine Lösung parat gehabt hätten: Heiraten wir einfach unter uns
     Mädels. Wen wir ehelichen könnten, war uns egal, wir wollten uns verkleiden und erwachsene Dinge nachspielen. Ein Vorschlag,
     mit dem das Personal der evangelischen Einrichtung nicht so richtig konform ging – gleichgeschlechtliche Beziehungen hatten
     zu Beginn der achtziger Jahre keinen Stellenwert in der Kirche. Also wurde der kleinste und schwächste Junge als Bräutigam
     rekrutiert, der von mir, laut Aussagen meiner Mutter, sehr verehrte Sebastian (auch hier leide ich an Amnesie – in
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