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Die Wassermuehle

Die Wassermuehle

Titel: Die Wassermuehle
Autoren: Nikola Hahn
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ging auf, und eine etwa siebzigjährige Frau humpelte herein. Ihr struppiges Haar stand nach allen Seiten ab, ihr von Runzeln durchzogenes Gesicht war rot angelaufen. „Die halten mich hier fest! Das ist Freiheitsberaubung!“
    „Könnten Sie bitte etwas leiser sein? Sie wecken das ganze Haus auf“, sagte Hedi.
    „Hilfe, Hilfe! So helfen Sie mir doch!“
    „Verdammt noch mal! Ruhe jetzt!“
    Die Frau hörte auf zu schreien. Sie sah Hedi an und fing an zu weinen. Gemeinsam mit Brigitte brachte Hedi sie zurück in ihr Zimmer.
    Zehn Minuten später rief Belinda an. Sie hustete Hedi ins Ohr. „Ich fühle mich furchtbar!“
    Hedi warf Brigitte einen vielsagenden Blick zu. „Wie lange, Belinda?“
    „Der Arzt sagt, ich hätte mir da eine ganz hartnäckige Sache eingefangen. Acht Tage bin ich auf jeden Fall krankgeschrieben. Es tut mir ja so leid.“
    „Ich bin gerührt, Belinda. Gute Besserung.“ Verächtlich ließ Hedi den Hörer auf den Apparat fallen.
    „Sie fängt dieses Jahr mit den Weihnachtsvorbereitungen früher an als sonst“, sagte Brigitte.
    „Wir haben Ende Oktober!“
    „Vielleicht hat sie ein paar Kalenderblätter zuviel abgerissen?“
    „Kaum juckt unserer Belinda der kleine Zeh, feiert sie drei Tage krank, und wir können sehen, wo wir bleiben!“
    „Ihre Abwesenheit fällt doch sowieso nur dadurch auf, dass der Kaffee länger reicht.“
    Hedi rang sich ein Lächeln ab. „Entschuldige. Aber ich musste mich heute schon beim Frühstück ärgern.“
    „Lass dich scheiden, und du bist alle Sorgen los“, sagte Brigitte ironisch.
    Hedi trank ihren Kaffee aus. „Manchmal träume ich davon, auf eine Südseeinsel auszuwandern.“
    Die Klingel von Zimmer fünfhundertvier schrillte. Hedi stellte die leere Tasse in die Spüle und ging nachsehen. Die alte Dame hatte ihr Haar gekämmt und lächelte. „Hätten Sie vielleicht eine Tasse Tee für mich, Schwester? Haben Sie schlecht geschlafen? Sie sehen müde aus.“
    * * *
    Als Hedi am frühen Nachmittag mit mehreren Einkaufstüten bepackt nach Hause kam, dröhnte ihr im Treppenaufgang ein dumpfes Bumm-Bumm entgegen. Die Türkin aus dem ersten Stock putzte die Treppe; sie lächelte scheu, als Hedi ihr im Vorbeigehen einen guten Tag wünschte.
    Im zweiten Stock wartete Rosa Ecklig. Sie stemmte ihre Arme in die Hüfte. „Sorgen Sie auf der Stelle dafür, dass dieser Krach aufhört! Sonst rufe ich die Polizei!“
    „Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie sich damit noch ein wenig gedulden würden, Frau Ecklig“, sagte Hedi freundlich.
    Rosa Ecklig straffte ihre mageren Schultern. „Sie sollten sich wirklich mehr um Ihre Kinder kümmern, Frau Winterfeldt! Ich werde Jochen morgen sagen ...“
    „Einen schönen Tag noch.“ Hedi schluckte ihren Zorn hinunter und ging an ihr vorbei nach oben. Warum mussten sie auch ausgerechnet über der Schwippschwägerin von Klaus’ Vorgesetztem wohnen? Und wann kapierte Dominique endlich, dass von eins bis drei Mittagsruhe zu herrschen hatte! Hedi stellte die Tüten ab und kramte nach dem Wohnungsschlüssel. Ein Glück, dass wenigstens die Brancatellis von nebenan lärmfest waren. Jedenfalls hatten sie sich noch nie beschwert. Hedi schleppte die Tüten in den Flur und ging in Dominiques Zimmer.
    Ihre Tochter lag auf dem Bett und blätterte in einem Modejournal. Von der Wand hinter ihr lächelte ein schwarzhaariger Jüngling in Lebensgröße. Hedi fand, der Kerl sah aus wie weichgespült. Sie zog den Stecker der Stereoanlage heraus. Dominique fuhr hoch. „Mama! Du kannst doch nicht einfach ...“
    „Das nächste Mal verscherbele ich das Ding auf dem Flohmarkt! Ist das klar?“
    „Den Song muss man aber laut hören! Sonst törnt’s echt null an.“
    „Pass auf, dass mich nicht gleich was echt null antörnt!“
    Dominique schlug die Zeitschrift zu und rollte sich schmollend zur Wand.
    In der Küche sah es zum Fürchten aus. Auf der Anrichte lag eine angeknabberte Pizza in einer fettigen Pappschachtel; daneben eine zerknüllte Chipstüte, hartgewordene Toastbrotscheiben und der nasse Kaffeefilter. Der Tisch im Esszimmer war nicht abgeräumt. An Tante Juliettes Kirschkonfitüre klebte Eidotter. Sascha hockte mit Kopfhörern auf dem Sofa und sah zu, wie Claude van Damme über eine Leiche stieg.
    Hedi nahm die Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus. „Könnt ihr nicht einmal den Saustall hier aufräumen?“
    Sascha setzte die Kopfhörer ab. „Dominique hat in der Küche rumgefuhrwerkt. Soll sie auch
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