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Die Wasser des Mars

Die Wasser des Mars

Titel: Die Wasser des Mars
Autoren: Klaus Frühauf
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will ich aus diesen Gesichtern lesen, was ihre Hände zu schreiben unterließen?
    Oder verbergen auch meine Freunde ihre Angst? Wie anders wären ihre Blicke zu deuten, mit denen sie die ständig wachsende Sonne anstarren, wenn sie sich unbeobachtet fühlen?
    Ich weiß es nicht, und es verdrießt mich, daß ich ihre Gedanken nicht fassen kann. Ich fühle Zorn in mir aufsteigen, Zorn auf die Korona, die unsere Vorfahren hinaus in den Raum trieb, Zorn auf den endlosen Kosmos selbst, auf die Sonne, Zorn auch auf meine Ahnen, die in unbegreiflicher Selbstüberschätzung Kinder in diese Welt setzten, die nur aus winzigen, engen Kammern besteht und aus einem unvorstellbaren Raum hinter den papierdünnen Wänden.
    Und nun scheint, zu allem Überfluß, die Rechnung dieser Menschen auch noch aufzugehen.
    Soll ich stolz darauf sein, daß wir durchgehalten haben bis an das bittere Ende?
    Mit Gewalt schüttele ich die finsteren Gedanken ab, zwinge das Bild Myriams zwischen die weißen Blätter der Chronik, und während sich ihre Umrisse klären, fühle ich, wie Ruhe in mein Hirn einzieht. Hätte es Myriam gegeben, wenn die Alten sich nicht ihren Glauben, ihre Dogmen gegeben hätten?
    Immer wieder kommen diese Betrachtungen über die Alten, über den Sinn unseres Seins und unserer Arbeit zurück. Woher wußten unsere Ahnen, daß diese anonyme, in Saus und Braus auf ihrer riesigen Welt lebende Menschheit das Geheimnis des Überlichtsprunges vermissen wird, wenn sie gezwungen sein sollte, noch ein paar Jahrhunderte länger darauf zu warten?
    Vielleicht kennt sie dieses Geheimnis längst, vielleicht durcheilen ihre Raumschiffe längst den Kosmos mit unvorstellbarer Geschwindigkeit in allen Richtungen und nach allen Radianten? Vielleicht löst unsere Ankunft mitleidiges Staunen und unsere Botschaft Gelächter auf der Erde aus? Vielleicht fangen sie die heranrasende Rakete mit irgendeiner komplizierten Vorrichtung auf und stecken diese Urmenschen, die da aus dem kosmischen Raum zu ihnen gekommen sind, in eine Quarantänestation, um sie über Jahre zu beobachten, wie sie es auch mit seltsamen Tieren zu tun pflegen. Welch entsetzliche Vorstellung!
     
    Wir nähern uns der Plutobahn. Die Temperatur auf der Außenhaut der Rakete ist in den letzten Tagen ein wenig gestiegen. Die interstellare Materie wird in der Nähe des Sonnensystems dichter, und die ungeheure Geschwindigkeit unseres Raumschiffes tut ein übriges. Die Wärme der Außenhaut bedeutet jedoch auch, daß dort Bewegungsenergie vernichtet wird, daß wir unmerklich gebremst werden, durch die winzigen Stäubchen zwischen den Sternen. Wir werden gebremst, daran kann es keinen Zweifel geben, aber eben nur unmerklich. Unsere Geschwindigkeit erhöht sich weiter, und in der Nähe der Jupiterbahn, wo wir mit dem ersten Funkkontakt rechnen können, wird sie bereits den irrsinnigen Wert von zwölftausend Kilometern je Sekunde erreicht haben.
    Manchmal sehe ich, daß einer der Kameraden auf die Bildschirme blickt, lange und schweigend, als suche er nach einem Anzeichen für die Nähe der Bahn des äußersten Planeten, aber es gibt diese Anzeichen nicht. Es klingt absurd, aber wir werden in unser heimatliches Sonnensystem einfliegen, ohne es zu merken, ohne daß sich das Geringste für uns ändert. Wir sind zwar in der Lage, den Kreuzungspunkt der Plutobahn mit der Flugkurve unserer Rakete exakt zu berechnen, aber was ändert diese Rechnung an unserem Schicksal?
    Seit zwei Tagen schwebt Myriam bereits ununterbrochen am Funkpult. Sie hat die Hörer mit den weichen Muscheln an die Ohren gepreßt und lauscht.
    Myriam schwimmt, unbewußt vielleicht, aber die langen, gleitenden Bewegungen ihres Körpers verraten ihre innere Spannung. Es geht ihr nicht anders als uns allen, wir alle sind längst nicht mehr so gelöst wie noch vor Tagen. Ist es die Nähe der Menschheit oder die der Sonne, die diese Spannung erzeugt?
    Neben Myriam hat sich der junge Laser mit dem Gürtel an einem Halteseil verhakt. Wie in Trance vollzieht sein Kopf die Bewegungen des Frauenkörpers nach, in ewigem Auf und Ab, und bei ihm bin ich sicher, daß es unbewußt geschieht. Er hat die beweglichen Finger fest ineinander verkrampft, und sein Blick scheint die Wand zu durchdringen bis in irgendeine nebelhafte Ferne. Ununterbrochen murmelt er unverständliche Worte, wie er es meist tut, wenn sich niemand mit ihm beschäftigt. Vielleicht ist Laser der Glücklichste von uns allen, bestimmt aber ist er glücklicher als ich.
    Mit
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