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Die Wasser des Mars

Die Wasser des Mars

Titel: Die Wasser des Mars
Autoren: Klaus Frühauf
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werden es mehr.
    Ich versuche mir auszumalen, wie der alte Laser angesichts dieser meiner Gedanken reagiert hätte. Sein Gesicht hätte sich wie im Schmerz verzogen und sein zitternder Finger wie eine Waffe auf meine Brust gezielt. Aber Laser kann meine Gedanken nicht mehr erfahren, Laser ist längst tot, gestorben, ohne das heimatliche System zu erreichen.
    Ich stoße die Tür zu Myriams Kabine auf. Sie schwebt einen halben Meter über der straff gespannten Netzmatte, nur mit zwei oder drei Schlaufen gesichert und »schwimmt«, wie sie ihre Lieblingsbeschäftigung nennt.
    Es ist ein wunderbarer Anblick, und ich bremse meinen Schwung am Halteseil ab und bleibe in der Kabinentür hängen. Myriams Körper schwingt in langsamen, gleichsam flutenden Bewegungen auf und ab. Wie Wellen läuft es über sie hin, gleitend und in unvergleichlicher Harmonie. Das helle Haar, das wie eine Mähne über ihrem Kopf schwebt, vollzieht die Bewegungen des Körpers verfeinert nach. Es ist ein Anblick, der mir das Blut in die Wangen treibt.
    Aber Myriam ist nicht allein. Vor dem Videogramm schwebt Cora, unsere Ärztin. Auch Cora ist eine faszinierende Frau, aber sie ist ganz anders als Myriam, eigentlich das genaue Gegenteil, und vermutlich ist es dieser Gegensatz, der sie so anziehend macht.
    Cora ist für unsere Verhältnisse überaus kräftig gebaut, ein wenig erinnert ihre Statur an die unserer Vorfahren, die wir von Fotografien kennen. Cora treibt täglich ein intensives isometrisches Training. Auch jetzt hat sie die Hände ineinandergekrallt und spannt die Armmuskeln, daß sie unter der mattweißen Haut springen. Dabei heben und senken sich ihre Brüste, als führten sie ein eigenes Leben. Sie sieht meinen Blick und lächelt. Halb wendet sie sich mir zu.
    O ja, Cora ist schön, sehr schön, aber sie scheint in einem inneren Feuer zu brennen, das mir manchmal Angst macht.
    Sie entkrampft die Hände und stößt sich vom Videogrammpult ab. Ich sehe sie auf mich zukommen, sehe, wie die dunklen Augen plötzlich zu sprühen beginnen, und blicke hinüber zu Myriam, die ihre Bewegungen unterbrochen hat und uns beobachtet. Das Abirren meiner Augen ist wie eine Flucht, ich weiß es wohl, und auch Cora bemerkt es.
    Die Glut in ihren Augen macht einem kleinen Lächeln Platz. Cora zuckt ein wenig bedauernd die Schultern und gleitet an mir vorbei, mich wie ein Hauch streifend. Erst an der Tür wendet sie sich um und hebt unmerklich die Hand. »Hallo, Stasch!« sagt sie. Und dann: »Mach’s gut, Stasch!«
    Es klingt zweideutig, aber ich glaube Cora besser zu kennen. Es war nichts als ein Gruß. Draußen im Korridor höre ich sie pfeifen, und dann klappt die Tür zu Bergers Kabine.
    Myriams Augen sind groß und feucht. »Ich wußte, daß du kommen würdest, Stasch!« flüstert sie. »Jeder Tag ist kostbar für uns, so kostbar…«
    Eigentlich lebe ich in einer Welt, in der man sich das Wundern längst abgewöhnt haben sollte, und doch erlebe ich ständig Dinge, die mich verblüffen.
    Da ist Coras isometrisches Training, Myriams gedankenlos hingeworfener Satz: »Jeder Tag ist kostbar, Stasch!« Da ist der junge Berger, der mit Hingabe Dinge malt, die er nie gesehen hat, Landschaften der Erde, die er nach Beschreibungen der Chronik gestaltet und die mit Sicherheit in Natur ganz anders aussehen als auf seinen Bildern, und da sind täglich so viele Kleinigkeiten, die mich glauben machen, daß sich die Freunde des bevorstehenden Endes überhaupt nicht bewußt sind. Und doch wissen sie alle um ihren nahen Tod, selbst Laser, dieser blonde, blasse Junge, der nichts tut, als vor sich hinzustarren, mit fest ineinander verschränkten Händen, und dessen Lippen ununterbrochen leise Worte murmeln, die keiner von uns versteht. Selbst er, dessen Geist kaum noch in unserer kleinen Welt ist, weiß um seinen nahen Tod.
    Es gibt, glaube ich, nur eine einzige Erklärung für dies alles: Sie fürchten diesen Tod weit weniger als ich. Die Worte der Alten haben ihre Schuldigkeit getan, die Saat unserer Ahnen ist tatsächlich aufgegangen. Und vielleicht habe auch ich meinen Anteil daran, da ich meine Zweifel und meine Ängste konsequent vor ihnen verbarg.
    Warum aber bin ich nicht genauso ruhig wie sie? Was ist es, das mich nach kurzem Glück aus Myriams Armen treibt, mich erneut zwingt, aus der Chronik Dinge herauszulesen, die niemand geschrieben hat? Was treibt mich, zwischen den Zeilen dieses Buches die Gesichter der Menschen sehen zu wollen, die sie schrieben? Warum
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