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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen
Autoren: René Anour
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ihn immer bei dir, und wenn du in Gefahr bist …«
    »… schieß«, murmelte ich zitternd.
    »Ja«, flüsterte Gorman und nickte.
    Eine Weile standen wir uns schweigend gegenüber.
    »Weißt du eigentlich, wie es sein könnte, Ainwa?«, fragte er mich. »Du müsstest nicht sterben, um bei mir zu sein. Ich habe gelernt, es zu beherrschen. Ich würde dir das Blut des Kelpis schenken, so wie du, meine Kleine, mir das Blut der Wanifen geschenkt hast. Wie zwei dunkle Götter würden wir die Nacht durchstreifen bis zum Jüngsten Tag.«
    Meine Arme begannen, heftig zu zittern.
    »Du willst mich nicht töten?«, fragte ich mit belegter Stimme.
    »Dich töten?«, hauchte Gorman. »Du weißt nicht, wie sehr ich das begehrt habe. Aber wie grau wäre die Nacht ohne dich.«
    »Ich wünschte, du hättest gewusst, auf was du dich einlässt, als du mich beim Blutmond in den Wald begleitet hast.«
    »O Ainwa«, meinte Gorman lächelnd und schüttelte den Kopf. »Ich wusste es.«
    »W–was?«
    Gorman begann, mich mit langsamen Schritten zu umkreisen.
    »Damals sah ich vom Waldrand aus zu, wie du mit Alfanger gesprochen hast und ich sah, wie verstört du warst, als du ihn verlassen hattest. Ich war sehr besorgt um dich, Ainwa. Ich rannte zu Alfangers Hütte und zwang ihn, mir zu sagen, was er dir erzählt hatte.
    Ich erfuhr, dass es dein Blut war, das dich so anziehend für den Kelpi machte.«
    Gorman grinste und hob seinen linken Arm. Ich erkannte deutlich die dunklen Linien des Elchenbands darauf.
    »Ich dachte, es wäre der einzige Weg, um ihn von dir abzulenken und ich hatte recht.«
    »Wieso hast du das getan?«
    Gorman senkte den Blick. »Weißt du das nicht?«
    Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Wie sollte ich denn ohne ihn leben, wenn mich allein der Gedanke an eine Welt ohne Gorman halb um den Verstand brachte? »Nimm mich mit dir, Gorman. Lass mich nie wieder allein.«
    Er hob den Blick und lächelte.
    »So soll es sein, Ainwa.«
    Er kam auf mich zu, ganz langsam, wie, um mich nicht zu erschrecken. Ich sah zu, wie die Schneeflocken schmolzen, sobald sie seine Haut berührten. Ich zielte noch immer mit dem Bogen auf ihn. Etwas in mir weigerte sich, ihn zu senken.
    Gorman stand vor mir. Alles andere verblasste neben ihm. Ich blickte ihm ins Gesicht und erinnerte mich daran, wie es früher einfach gereicht hatte, ihn anzusehen, um neue Zuversicht zu tanken. Sein Gesicht hatte immer noch starke Wirkung auf mich, auch wenn das Wichtigste für mich für immer daraus gewichen war – seine Gutherzigkeit. Wahrscheinlich würde mich das nicht mehr stören, wenn ich erst geworden war wie er …
    Gorman legte seine Hand auf meine linke Faust, die den Bogen umklammert hielt. Sie fühlte sich so warm an. Die Pfeilspitze zielte immer noch auf Gormans Herz.
    »Du brauchst ihn jetzt nicht mehr, Ainwa«, murmelte er. »Niemand wird dir mehr wehtun.«
    Er drückte den Bogen mit sanfter Gewalt nach unten. Sein Gesicht war direkt vor meinem. »Niemand, außer mir.«
    Ich konnte es beinahe sehen, Gorman und ich, wie wir wie Schatten durch den Urwald rauschten.
    »Komm jetzt mit mir in die Nacht, meine Kleine.«
    Gorman legte seine Hand auf meinen Nacken und zog mich langsam zu sich heran.
    Mein Eibenbogen fiel lautlos in den Schnee und ich sah Kaukets blasse Miene.
    Ich schloss die Augen und wandte mich wieder Gorman zu.
    »Ich hab dir nie gesagt, wie sehr ich dich liebe.«
    Meine Finger schlossen sich um den Pfeil, den ich in der Hand behalten hatte, und ich jagte ihn Gorman mit aller Kraft in die Brust.
    Es kam zu unerwartet, zu schnell – selbst für ihn. Der Pfeil bohrte sich tief in sein Herz. Gorman warf den Kopf in den Nacken und brüllte auf.
    Ich wollte zurückweichen, aber im selben Augenblick spürte ich einen stechenden Schmerz in meiner Brust und brach in die Knie. Mein Aufschrei ging in Atas ohrenbetäubendem Brüllen unter.
    Mein Blick suchte Gorman. Er stand ein paar Schritte vor mir im Schnee und versuchte, sich den Pfeil aus der Brust zu reißen. Es fiel ihm ungewöhnlich schwer. Das Gift musste ihn bereits schwächen.
    Er blickte auf.
    »Ainwa, du kleine Dämonin«, zischte er und stolperte einen Schritt auf mich zu. Seine mächtige Brust hob und senkte sich rasch. Ströme von dampfendem Blut rannen über seinen Oberkörper. »Ich … werde dich …«
    Er brach in die Knie.
    Und dann löste sich ein Schatten von seiner Gestalt und verschwand in der Dunkelheit.
    Gorman sah zu mir herüber. In seinen haselnussfarbenen
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