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Die Wand der Zeit

Die Wand der Zeit

Titel: Die Wand der Zeit
Autoren: Alastair Bruce
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Axum, der den Kontakt zu Bran wiederherstellen soll. Ein Mann aus einem unentdeckten Teil der Welt, einer seit Jahrhunderten vergessenen Gegend, die von unseren Kriegen, Hungersnöten, unserem verheerenden Klima verschont geblieben ist. Ein Land der Drachen und sagenhaften Könige. Er ist, halb Mensch, halb Fisch, vom Meeresgrund heraufgekommen. Seit Äonen unterm Küstenschlick verschüttet, hat ihn die Brandung zutage gefördert und der warme Regen ihn zum Leben erweckt. Meine Fantasie kennt keine Grenzen. Ein Mörder. Ein Mann von wer weiß wo, den die Rache, die Gier und die Lust zu töten treibt. Ein schweigsamer Mann, der soeben plant, meine Insel an sich zu reißen. Oder wie ich ein Verbannter, ein Visionär, ein dem Umschwung der öffentlichen Meinung zum Opfer gefallener Menschenführer, der aufs offene Meer hinausgejagt und seinem Schicksal überlassen wurde. Weniger ein Sünder als einer, an dem man sich versündigt hat. Ich lasse meinen Gedanken allzu freien Lauf.
    Geht man von seiner Statur, der Jacke, seiner weichen Haut aus, ist er wahrscheinlich eine bedeutende Persönlichkeit in Axum.
    Vielleicht aber trotzdem ein Verbrecher. Nach dem Gesetz bin ich das allerdings auch.
    Ich stelle ihn mir in der Höhle vor und frage mich, was er gerade macht. Ich sitze mit dem Rücken zum Steilufer. Dann habe ich das Gefühl, dass seine Augen mich von oben herunter anstarren. Ich drehe mich rasch um. Es ist nichts zu sehen.
    Und plötzlich hab ich’s.
    Ich weiß, wer er ist. Es fällt mir wieder ein. Vor über zwanzig Jahren habe ich ihn zuletzt gesehen; er hat sich stark verändert, und erst heute Morgen konnte ich ihn mir genau anschauen. Deshalb hat es so lange gedauert. Ich springe auf, will gleich zu ihm, setze mich aber wieder hin. Es besteht kein Grund, ihm sofort unter die Nase zu reiben, dass ich weiß, wer er ist. Ich muss erst sehen, ob ich herausfinde, was er vorhat; ob ich ihn zum Sprechen bringen kann.
    Sein Name ist Andalus. Er war der Herrscher von Axum. In der Tat eine führende Persönlichkeit. Er war der Mann, mit dem ich den Frieden für unsere Territorien besiegelt habe, mit dem ich den Großen Plan ausgearbeitet habe, auch wenn es in erster Linie meine Idee war. Mich überrascht, dass er hier ist. Sehr. Das könnte ein schlechtes Omen sein. Ich muss herausfinden, was dahintersteckt; das heißt, ich muss für mich behalten, dass ich weiß, wer er ist, und kann nur hoffen, dass er mich nicht erkennt.
    Ich fange einen zweiten Fisch. Beide sind klein, aber für einen Abend genügt es. In der Höhle backe ich sie mit ein paar Knollen am Feuer. Die Knollen kokeln außen an, bleiben innen aber zart. Ich weiß nicht, was es für welche sind; sie schmeckenwie Süßkartoffeln. Als ich ihm das Essen gebe, schlingt er es hungrig hinunter. Da ist er auf einmal richtig schnell. Mich wundert, dass er sich nicht den Mund verbrennt. Er wird lange vor mir fertig, und ich gebe ihm noch etwas ab. Während er isst, beobachte ich ihn, und die Erinnerungen werden wach. Hinter dem Wanst, irgendwo in dieser fetten Made steckt mein Feind, der Feind, aus dem so etwas wie ein Freund wurde. Hinter dem veränderten Äußeren liegt ein Zugang zu dem, was ich bin, was ich war.
    Wir essen alles auf, und bis wir fertig sind, ist es dunkel, und wir richten uns auf die zweite gemeinsame Nacht ein.
    Er schläft noch, als ich am nächsten Morgen die Höhle verlasse. Er liegt auf der Seite, zusammengerollt wie ein Säugling. Mich beunruhigt, dass mein Tagesablauf durcheinandergeraten ist. Um ihn mitzuversorgen, muss ich mehr Brennmaterial sammeln und mehr zu essen beschaffen. Ich muss schneller machen. Ich nehme meine Kleider mit zum Schwimmen und gehe von dort aus direkt zum Torfmoor.
    Als Tora an jenem Mittwochabend nach dem Tod ihrer Mutter zu mir kam, wusste ich, dass unsere Beziehung halten würde. Und sie hielt auch, fast bis zum Schluss. Während ich Tora umarmte – sie erwiderte die Umarmung nicht –, musste ich ein paarmal scharf die Luft einziehen, um nicht aufzuschreien. Ich weiß nicht, ob sie das gemerkt hat. Ich wusste, wenn eine Beziehung so etwas übersteht, dann hält sie so gut wie alles aus. Sie zu fragen, ob sie mit mir ins Exil gehen würde, kam mir nicht in den Sinn. Wahrscheinlich hätte Abel Einspruch dagegen erhoben, aber ich hätte die Frage eben gar nicht gestellt. Ich musste davon ausgehen, dass ich innerhalb von Tagen tot war, wennich die Siedlung verließ. Nein, ich wollte Tora nicht mitnehmen. Ich
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