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Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
Autoren: Joël Dicker
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gern an und ging. Doch anstatt Goose Cove zu verlassen, versteckte er sich im Gebüsch und wartete wie immer auf Nola. Kurz darauf erschien sie, voller Vorfreude auf ihre baldige Abreise. Sie bemerkte die im Dickicht versteckte Gestalt nicht, die sie beobachtete, sondern betrat das Haus, ohne zu klingeln, wie sie es in letzter Zeit immer tat.
    »Allerliebster Harry!«, rief sie, um sich anzukündigen.
    Keine Antwort. Das Haus wirkte verlassen. Sie rief noch einmal. Stille. Sie sah im Ess- und im Wohnzimmer nach, fand ihn jedoch nicht. Auch in seinem Arbeitszimmer und auf der Terrasse war er nicht. Also ging sie die Treppe zum Strand hinunter und rief dort nach ihm. Vielleicht war er schwimmen gegangen? Das tat er manchmal, wenn er zu viel gearbeitet hatte. Doch auch am Strand war niemand. Sie spürte, wie sich Unruhe in ihr breitmachte. Wo konnte er nur sein? Sie kehrte ins Haus zurück und rief erneut. Nichts. Sie sah in allen Zimmern im Erdgeschoss nach und ging dann nach oben. Als sie die Tür zu seinem Schlafzimmer öffnete, sah sie ihn auf dem Bett sitzen und einen Stapel Papiere lesen.
    »Harry? Hier sind Sie. Seit zehn Minuten suche ich Sie überall …«
    Er fuhr zusammen, als er sie hörte. »Entschuldige, Nola, ich habe gelesen … Ich habe dich nicht gehört.« Er stand auf, schob die Blätter in seinen Händen zusammen und legte sie in eine Schublade der Kommode.
    Mit einem Lächeln fragte sie: »Und was lesen Sie so Spannendes, dass Sie nicht mal gehört haben, wie ich im Haus nach Ihnen gerufen habe?«
    »Nichts Wichtiges.«
    »Ist das die Fortsetzung Ihres Romans? Zeigen Sie her!«
    »Nichts Wichtiges, ich zeige es dir gelegentlich.«
    Sie sah ihn schelmisch an. »Sind Sie sich sicher, dass alles in Ordnung ist, Harry?«
    Er lachte. »Es ist alles in Ordnung, Nola.«
    Sie gingen an den Strand. Nola wollte die Möwen sehen. Sie breitete die Arme wie Flügel aus und lief in großen Kreisen umher. »Ich wollte, ich könnte fliegen, Harry! Nur noch zehn Tage! In zehn Tagen fliegen wir davon! Wir gehen für immer aus dieser Unglücksstadt fort!«
    Sie glaubten sich allein am Strand. Weder Harry noch Nola ahnten, dass Luther Caleb sie von oberhalb der Felsen aus dem Wald beobachtete. Er wartete, bis sie ins Haus zurückkehrten, bevor er sein Versteck verließ. Dann rannte er die Auffahrt von Goose Cove entlang und zu seinem im parallel verlaufenden Waldweg geparkten Mustang. Er fuhr nach Aurora, hielt vor dem Clark’s und stürzte hinein. Er musste unbedingt mit Jenny reden. Jemand musste davon erfahren. Er hatte eine böse Vorahnung. Aber Jenny wollte ihn nicht sehen.
    »Luther? Du solltest nicht hier sein«, sagte sie zu ihm, als er an der Theke auftauchte.
    »Jenny … Ef tut mir leid wegen neulich früh. Ich hätte deinen Arm nicht fo feft anpacken dürfen.«
    »Ich habe davon einen blauen Fleck bekommen.«
    »Ef tut mir fo leid.«
    »Du musst jetzt gehen.«
    »Nein, warte …«
    »Ich habe dich angezeigt, Luther. Travis hat gesagt, wenn du dich in der Stadt blicken lässt, soll ich ihn anrufen, und dann kriegst du es mit ihm zu tun. Du gehst jetzt besser, bevor er dich hier sieht.«
    Der hünenhafte Luther wirkte gekränkt. »Du haft mich angefeigt?«
    »Ja. Du hast mir neulich früh solche Angst eingejagt …«
    »Aber ich muff dir waf Wichtigef erfählen …«
    »Es gibt nichts Wichtiges, Luther, und jetzt geh …«
    »Ef geht um Harry Quebert …«
    »Um Harry?«
    »Ja, fag mir, waf du von Harry Quebert hälft …«
    »Warum willst du das wissen?«
    »Trauft du ihm?«
    »Ob ich ihm traue? Aber sicher. Warum fragst du mich das?«
    »Ich muff dir waf fagen …«
    »Mir was sagen? Was denn?«
    Gerade als Luther antworten wollte, fuhr ein Polizeiauto auf den Platz gegenüber vom Clark’s.
    »Das ist Travis!«, rief Jenny. »Verschwinde, Luther, schnell! Ich will nicht, dass du Ärger bekommst.«

    »Es war ganz einfach das schönste Buch, das ich je gelesen hatte«, erklärte mir Harry. »Und ich wusste nicht einmal, dass es für Nola war! Ihr Name taucht nirgends auf. Es war eine außergewöhnliche Liebesgeschichte. Caleb habe ich nie wiedergesehen. Ich hatte keine Gelegenheit, ihm seinen Text zurückzugeben, denn was dann geschah, wissen Sie ja. Vier Wochen später habe ich erfahren, dass Luther Caleb bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. Und ich befand mich im Besitz eines Originalmanuskripts, von dem ich wusste, dass es ein Meisterwerk war. Ich beschloss, es mir anzueignen. Ich habe
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