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Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
Autoren: Joël Dicker
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mit getönten Scheiben. Ich verkehrte fortan in feinen Restaurants und nahm die Dienste eines Literaturagenten in Anspruch, der sich um mein Zeitmanagement kümmerte und mit mir in meiner neuen Bleibe auf einem riesigen Flachbildschirm Baseball schaute. Außerdem mietete ich einen Steinwurf vom Central Park entfernt ein Büro an, in dem eine Sekretärin, die ein bisschen in mich verliebt war und auf den Vornamen Denise hörte, meine Post sichtete, mir Kaffee machte und alle wichtigen Unterlagen ablegte.
    In den ersten sechs Monaten nach der Veröffentlichung des Buchs genügte es mir vollauf, die angenehmen Seiten meines neuen Daseins auszukosten. Ich schaute morgens im Büro vorbei, um die jüngsten Artikel über mich zu überfliegen und die Fanbriefe zu lesen, die täglich zu Dutzenden ins Haus flatterten und die Denise danach in dicken Ordnern abheftete. Anschließend bummelte ich selbstzufrieden und in dem Gefühl, bereits genug gearbeitet zu haben, durch die Straßen von Manhattan, in denen die Passanten zu tuscheln anfingen, wenn ich an ihnen vorbeiging. Die restliche Zeit des Tages nutzte ich, um die neuen Rechte zu genießen, die der Ruhm mir gewährte: das Recht, mir alles zu kaufen, worauf ich Lust hatte; das Recht auf eine VIP -Loge im Madison Square Garden, wenn ich mir ein Spiel der Rangers ansehen wollte; das Recht, mit Musikstars, von denen ich in jüngeren Jahren sämtliche Platten gekauft hatte, über den roten Teppich zu schreiten; das Recht, mit Lydia Gloor, der umschwärmten Hauptdarstellerin aus der derzeit angesagtesten Fernsehserie, auszugehen. Ich war ein berühmter Schriftsteller und hatte das Gefühl, den schönsten Beruf der Welt auszuüben. In der Gewissheit, dass mein Erfolg ewig währte, hatte ich die ersten Warnungen meines Agenten und meines Verlegers in den Wind geschlagen, die mich drängten, mich wieder an die Arbeit zu machen und mit meinem zweiten Roman zu beginnen.
    In den nächsten sechs Monaten merkte ich, dass sich der Wind zu drehen begann: Die Fanbriefe wurden immer spärlicher, auf der Straße wurde ich immer seltener angesprochen. Schon bald konfrontierten mich die wenigen Passanten, die mich überhaupt noch erkannten, mit Fragen wie: »Mr Goldman, worum geht es in Ihrem nächsten Buch? Und wann erscheint es?« Mir wurde klar, dass ich loslegen musste, und das tat ich. Ich hatte bereits Ideen auf lose Blätter notiert und Exposés in den Computer getippt, aber sie taugten nichts. Ich brachte neue Ideen hervor und verfasste neue Exposés. Wieder ohne Erfolg. Schließlich legte ich mir einen neuen Computer zu in der Hoffnung, dass er zusammen mit guten Ideen und hervorragenden Exposés verkauft würde. Fehlanzeige. Also änderte ich die Methode: Ich nahm Denise bis spätnachts in Beschlag, um ihr zu diktieren, was ich für große Sätze, Bonmots und Vorstöße zu außergewöhnlichen Romanen hielt. Doch am nächsten Tag kamen mir die Wörter abgeschmackt, die Sätze holprig und meine Vorstöße wie Rückschläge vor. Phase zwei der Krankheit hatte begonnen.
    Im Herbst 2007 war seit der Herausgabe meines ersten Buchs ein Jahr vergangen, und ich hatte noch keine einzige Zeile des nächsten zu Papier gebracht. Als es keine Briefe mehr abzulegen gab, man mich in der Öffentlichkeit nicht mehr erkannte und die Plakate mit meinem Konterfei aus den großen Buchhandlungen verschwunden waren, begriff ich, dass Ruhm vergänglich ist. Er ist eine ausgehungerte Gorgo, und wer sie nicht füttert, wird rasch ersetzt: Angesagte Politiker, das Sternchen aus der jüngsten Reality-Show, eine Rockband, der gerade der Durchbruch gelungen war – sie beanspruchten nun meine Portion des öffentlichen Interesses. Dabei waren seit Erscheinen meines Buchs erst zwölf Monate vergangen, eine in meinen Augen lächerlich kurze Zeitspanne, für den Rest der Menschheit jedoch eine Ewigkeit. Im selben Jahr war allein in den USA eine Million Kinder geboren worden, eine Million Menschen war gestorben, auf gut zehntausend war geschossen worden, eine halbe Million waren drogensüchtig, eine Million zu Millionären geworden, siebzehn Millionen hatten sich ein neues Handy angeschafft, fünfzigtausend waren bei Autounfällen ums Leben gekommen und zwei Millionen bei selbigen mehr oder weniger schwer verletzt worden. Und ich, ich hatte nur ein Buch geschrieben.
    Schmid & Hanson, der einflussreiche New Yorker Verlag, der mir für den ersten Roman ein hübsches Sümmchen offeriert hatte und große Hoffnungen in mich
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