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Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
Autoren: Joël Dicker
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gefallen? Und sein Buch? Gefiel es ihr etwa auch nicht? Warum die Tränen? Er hatte sich solche Mühe gegeben. Er hatte für sie einen Liebesroman geschrieben, und die Liebe sollte einen nicht zum Weinen bringen.
    Er wartete bis achtzehn Uhr. Er war sich unschlüssig, ob er warten sollte, bis sie erneut erschien, oder ob er an der Tür klingeln sollte. Er wollte sie sprechen, wollte ihr sagen, dass sie nicht weinen sollte. Da sah er sie im Garten auftauchen: Sie war aus dem Fenster geklettert. Sie beobachtete die Straße, um sicherzugehen, dass niemand sie sah, und trat dann unauffällig auf den Gehsteig. Sie hatte sich eine Schultertasche umgehängt. Kurz darauf fing sie an zu rennen. Luther ließ den Motor an.
    Der schwarze Chevrolet hielt auf ihrer Höhe.
    »Luther?«, fragte Nola.
    »Nicht weinen … Ich bin nur gekommen, um dir zu fagen, daff du nicht weinen follft.«
    »Ach, Luther, mir ist gerade etwas so Trauriges passiert … Nimm mich mit! Bitte nimm mich mit!«
    »Wohin willft du?«
    »Weit weg von allem!«
    Ohne Luthers Antwort abzuwarten, schlüpfte sie auf den Beifahrersitz. »Fahr los, mein guter Luther! Ich muss zum Sea Side Motel. Es ist ausgeschlossen, dass er mich nicht liebt! Wir lieben uns wie niemand sonst auf der Welt!«
    Luther gehorchte. Weder er noch Nola hatten den Streifenwagen bemerkt, der an der Kreuzung aufgetaucht war. Travis Dawn war gerade zum x-ten Mal bei den Quinns vorbeigefahren, um zu warten, bis Jenny allein zu Hause war, weil er ihr die wilden Rosen schenken wollte, die er für sie gepflückt hatte. Ungläubig sah er, wie Nola in diesen unbekannten Wagen stieg. Da erkannte er Luther am Steuer. Als der Chevrolet losfuhr, wartete er ein wenig, bevor er ihm folgte. Er durfte ihn nicht aus den Augen verlieren, aber auch nicht zu dicht auffahren. Er wollte unbedingt herausfinden, warum Luther so viel Zeit in Aurora verbrachte. Kam er, um Jenny nachzuspionieren? Warum nahm er Nola mit? Plante er ein Verbrechen? Beim Fahren griff Travis nach dem Mikrofon seines Bordfunkgeräts: Er wollte Verstärkung anfordern, um Luther in die Zange nehmen zu können, falls die Festnahme missglückte. Aber er überlegte es sich anders. Er wollte sich nicht mit einem Kollegen belasten, sondern die Sache auf seine Art regeln. Aurora war ein beschauliches Städtchen, und er wollte dafür sorgen, dass es das blieb. Er wollte Luther eine Lektion verpassen, die er nie vergessen würde. Das würde das letzte Mal sein, dass er einen Fuß hierher gesetzt hatte. Und wieder fragte sich Travis, wie Jenny sich in dieses Monster hatte verlieben können.
    »Du hast die Briefe geschrieben?«, empörte sich Nola im Wagen, nachdem sie Calebs Erklärungen gehört hatte.
    »Ja …«
    Sie trocknete mit dem Handrücken ihre Tränen. »Luther, du spinnst! Die Post anderer Leute stiehlt man nicht! Das gehört sich nicht!«
    Beschämt ließ er den Kopf hängen. »Ef tut mir leid … Ich war fo einfam …«
    Sie legte ihm freundschaftlich die Hand auf die kräftige Schulter. »Ist ja nicht so schlimm, Luther! Das bedeutet nämlich, dass Harry auf mich wartet! Er wartet auf mich! Wir gehen zusammen weg!« Bei dieser Vorstellung hellte sich ihre Miene auf.
    »Du haft ef gut, Nola. Ihr liebt euch … Daf heift, daff ihr nie allein fein werdet.«
    Sie waren nun auf der Route 1 unterwegs und kamen gerade an der Abbiegung nach Goose Cove vorbei.
    »Leb wohl, Goose Cove!«, rief Nola glücklich. »Dieses Haus ist der einzige Ort hier, an den ich glückliche Erinnerungen habe.«
    Sie lachte ohne Grund. Luther lachte mit. Er und Nola gingen auseinander, aber sie trennten sich im Guten. Plötzlich hörten sie hinter sich eine Polizeisirene. Sie waren nicht mehr weit vom Wald entfernt. Travis hatte beschlossen, sie dort abzufangen und Luther einen Denkzettel zu verpassen. Im Wald würde sie niemand sehen.
    »Daf ift Travif!«, rief Luther. »Wenn er uns erwift, find wir verloren.«
    Nola überkam panische Angst. »Keine Polizei! Oh, Luther, ich flehe dich an, tu was!«
    Der Chevrolet beschleunigte. Es war ein leistungsstarkes Modell. Travis fluchte und forderte Luther per Lautsprecher auf, am Straßenrand zu halten.
    »Nicht anhalten!«, bettelte Nola. »Gib Vollgas!«
    Luther trat das Gaspedal des Chevrolets durch. Der Abstand zu Travis vergrößerte sich ein wenig. Hinter Goose Cove beschrieb die Route 1 mehrere Kurven. Luther nahm sie sehr eng und schaffte es, seinen Vorsprung weiter auszubauen. Sie hörten, wie sich die Sirene
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