Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks
Autoren: Liane Moriarty
Vom Netzwerk:
denken musste. Als der Tisch dann abgeräumt war und die Mädchen vor dem Fernseher saßen, nahm sie den Umschlag und starrte ihn an.
    Sie stellte ihre Teetasse ab, hob ihn gegen das Licht und lachte leise in sich hinein. Es sah aus wie ein handgeschriebener Brief auf liniertem Papier. Doch entziffern konnte sie nichts.
    Hatte John-Paul vielleicht im Fernsehen gesehen, wie Soldaten in Afghanistan Briefe an ihre Familien schrieben, die ihnen im Falle ihres Todes ausgehändigt werden sollten, wie Botschaften aus dem Grab, und fand es gar keine schlechte Idee, etwas Ähnliches zu machen?
    Es passte nur so gar nicht zu John-Paul. Es war so sentimental.
    Aber auch schön. Er wollte, wenn er mal starb, dass sie wussten, wie sehr er sie liebte.
    Im Falle meines Todes … Wieso dachte er über den Tod nach? War er krank? Aber diesen Brief hatte er offenbar vor langer Zeit geschrieben, als er quicklebendig gewesen war. Außerdem hatte er gerade vor ein paar Wochen eine Vorsorgeuntersuchung machen lassen, und Dr. Kluger hatte ihm gesagt, er sei »fit wie ein Hengst.« Daraufhin spielte John-Paul tagelang mit Polly Pferd, warf den Kopf zurück und wieherte, während sie auf seinem Rücken ritt und ein Geschirrtuch wie eine Peitsche im Kreis vor sich her schwang.
    Cecilia lächelte bei dem Gedanken daran, und ihre Besorgnis verflog. John-Paul hatte vor Jahren etwas für ihn untypisch Sentimentales getan und ihr diesen Brief geschrieben. Das war nichts, worüber sie sich aufregen müsste. Und schon gar nicht sollte sie den Umschlag nun aus purer Neugierde öffnen.
    Sie sah auf die Uhr. Kurz vor acht. Er würde gleich anrufen. Wenn er verreist war, rief er immer abends um diese Zeit an. Den Brief würde sie gar nicht erst erwähnen. Es würde ihn verlegen machen, zumal es kein passendes Gesprächsthema am Telefon war.
    Eins jedoch bekam sie nicht aus dem Kopf: Wie hätte sie den Brief eigentlich finden sollen, im tatsächlichen Falle seines Todes? Vielleicht hätte sie ihn nie gefunden! Warum hatte er ihn nicht bei ihrem Notar hinterlegt, bei Doug Openheimer, Miriams Mann? Es fiel ihr wirklich schwer, sich ihn nicht beim Onanieren unter der Dusche vorzustellen, wenn sie an ihn dachte … Was natürlich nichts über seine Fähigkeiten als Jurist aussagte, aber über Miriams Fähigkeiten im Schlafzimmer möglicherweise sehr wohl. (Cecilias Beziehung zu Miriam war ein wenig durch Konkurrenzdenken belastet.)
    Gewiss, unter den gegebenen Umständen war jetzt wohl nicht die richtige Zeit, sich beim Thema Sex in eitler Selbstgefälligkeit zu erheben. Lass es! Hör auf, an Sex zu denken !
    Egal, es war jedenfalls dumm von John-Paul, den Brief nicht an Doug gegeben zu haben. Wenn John-Paul gestorben wäre, hätte sie in einem Anflug von Entrümpelungswahn wohl alle Schuhkartons weggeschmissen, ohne sie noch einmal durchzusehen. Wenn er gewollt hätte, dass sie den Brief fand, dann war es reichlich dämlich von ihm, ihn wahllos in irgendeinen dieser Schuhkartons zu stopfen.
    Wieso war er nicht in dem Ordner mit den Kopien ihrer Testamente, Lebensversicherungen und so weiter?
    John-Paul war einer der klügsten Menschen, die sie kannte, außer wenn es um die Logistik des täglichen Lebens ging.
    »Ich verstehe im Ernst nicht, wie es dazu kommen konnte, dass Männer die Welt regieren«, hatte sie am Morgen noch zu ihrer Schwester Bridget gesagt, nachdem sie eine SMS von John-Paul bekommen hatte, er habe in Chicago die Autoschlüssel für seinen Mietwagen verloren. Cecilia hätte ausrasten können, als sie die SMS sah. Es gab nichts, was sie tun konnte!
    So etwas passierte John-Paul ständig. Das letzte Mal, als er nach Übersee gereist war, hatte er seinen Laptop im Taxi liegen lassen. Dieser Mann verlor ständig irgendetwas – Geldbörsen, Telefone, Schlüssel, seinen Ehering. Seine Besitztümer kamen ihm in einem fort abhanden.
    »Irgendwelche Sachen bauen, das können sie ganz gut«, sagte ihre Schwester. »Wie Brücken und Straßen. Ich meine, könntest du etwa eine Hütte bauen? Eine einfache Lehmhütte?«
    » Ich könnte eine Hütte bauen«, antwortete Cecilia.
    »Ja, kannst du wahrscheinlich«, seufzte Bridget, als wäre das eine Verfehlung. »Wie auch immer, Männer regieren nicht die Welt. Wir haben immerhin eine Premierministerin. Und du regierst deine Welt. Du regierst den Fitzpatrick’schen Haushalt. Du regierst St. Angela. Und du regierst die Welt der Tupperware.«
    Cecilia war Elternpflegschaftsvorsitzende und Vorsitzende
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher