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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks
Autoren: Liane Moriarty
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doch gerade, oder nicht? Ihr wollt miteinander schlafen.«
    Geküsst jedenfalls müssen sie sich haben. Das war schlimmer, als hätten sie miteinander geschlafen. Jeder wusste, dass ein heimlicher Kuss die erotischste Sache der Welt war.
    Die Flecken auf Felicitys Hals zogen sich hoch bis zu ihren Wangen. Es sah aus, als wäre eine seltene ansteckende Krankheit im Anzug.
    »Es tut uns so leid«, sagte Will noch einmal. »Wir haben alles versucht … damit es nicht passiert.«
    »Haben wir wirklich.« Felicity nickte. »Monatelang, weißt du, wir haben …«
    »Monatelang? Das läuft schon seit Monaten?!«
    »Nein, eigentlich läuft gar nichts«, erklärte Will feierlich, als wäre er in der Kirche.
    »Na ja, irgendwie schon«, sagte Felicity. »Es läuft schon etwas halbwegs Ernstes zwischen uns.« Na sieh mal einer an! Wer hätte gedacht, dass sie fähig war, in einem solch harten Ton zu sprechen? Jedes Wort klang wie ein Betonklotz.
    »Tut mir leid«, murmelte Will. »Bestimmt … ich meine nur …«
    Felicity drückte die Finger gegen ihre Stirn und begann zu weinen. »Oh, Tess!«
    Tess’ Hand wanderte wie von selbst zu Felicity, um sie zu trösten. Sie waren so eng verbunden wie Schwestern. Und das erzählten sie seit jeher jedem, der es wissen wollte. Ihre Mütter waren Zwillinge, und Felicity und Tess waren jeweils das einzige Kind, nur sechs Monate auseinander. Sie hatten immer alles zusammen gemacht.
    Einmal war Tess auf einen Jungen losgegangen, hatte ihm mit der rechten Faust einen ordentlichen Kinnhaken versetzt, weil er Felicity einen »Baby-Elefanten« genannt hatte, was so ziemlich haargenau beschrieb, wie Felicity die ganze Schulzeit über ausgesehen hatte. Und heute war sie eine moppelige, erwachsene Frau, »ein dickes Mädchen mit einem hübschen Gesicht«. Sie trank Cola wie andere Wasser und schien nie eine Diät gemacht oder Sport getrieben zu haben. Auch sonst schien ihr Gewicht ihr nichts auszumachen.
    Vor etwa sechs Monaten dann war Felicity den Weight Watchers beigetreten, ließ seither die Finger von Cola, hatte sich im Fitnessstudio angemeldet, vierzig Kilo abgespeckt und wurde wunderschön. Atemberaubend schön! Genau die Sorte, die man in The Biggest Loser sehen will: eine wunderschöne Frau, gefangen in einem fetten Körper.
    Tess hatte sich riesig für sie gefreut. »Jetzt lernt sie vielleicht einen echt netten Typen kennen«, hatte sie zu Will gesagt. »Jetzt hat sie auch viel mehr Selbstbewusstsein.«
    Und siehe da, Felicity hatte einen echt netten Typen kennengelernt. Will. Denn nettesten Typen, den Tess kannte. Und es brauchte schon eine Menge Selbstbewusstsein, um der eigenen Cousine den Mann auszuspannen.
    »Es tut mir so wahnsinnig leid, dass ich am liebsten sterben will«, heulte Felicity.
    Tess zog ihre Hand zurück. Felicity – die bissige, ironische, lustige, gescheite, dicke Felicity – klang wie eine amerikanische Cheerleaderin.
    Will legte den Kopf in den Nacken und starrte mit angespanntem Gesicht an die Decke. Er versuchte krampfhaft, nicht auch noch in Tränen auszubrechen. Das letzte Mal, als Tess ihn weinen gesehen hatte, war, als Liam auf die Welt gekommen war.
    Tess’ Augen waren trocken. Ihr Herz hämmerte wie wild, als hätte sie Todesangst. Das Telefon klingelte.
    »Lass es läuten«, sagte Will. »Wir haben längst Feierabend.«
    Tess stand auf, ging hinüber an ihren Schreibtisch und nahm den Hörer ab. » TWF -Werbeagentur«, sagte sie.
    »Tess, meine Liebe, ich weiß, es ist spät, aber wir haben ein kleines Problem.«
    Es war Dirk Freeman, der Marketingchef des Pharmakonzerns Petra, ihr wichtigster und lukrativster Kunde. Es war Tess’ Aufgabe, Dirk das Gefühl zu geben, ein wichtiger Kunde zu sein, und ihm unentwegt zu versichern, dass er der größte Häuptling war, obgleich er mit seinen fünfundsechzig Jahren wohl keine Karrieresprünge mehr machen würde. Und dass sie, Tess, seine Dienstmagd war, die er herumkommandieren und mit der er schäkern konnte oder zu der er grantig oder schroff sein konnte, ganz wie es ihm beliebte. Zwar konnte sie ihm ruhig einmal eine patzige Antwort geben, aber wenn es darauf ankam, musste sie tun, was er sagte . Erst neulich war ihr der Gedanke gekommen, dass die Dienste, die sie Dirk Freeman erwies, an der Grenze zum Sexuellen waren.
    »Die Farbe des Drachen auf der Hustenstopper-Verpackung ist völlig verkehrt«, sagte Dirk. »Zu lila. Viel zu lila. Sind wir damit schon in Druck gegangen?«
    Ja, sie waren schon
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