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Die Wälder am Fluss - Lansdale, J: Wälder am Fluss - The Bottoms

Die Wälder am Fluss - Lansdale, J: Wälder am Fluss - The Bottoms

Titel: Die Wälder am Fluss - Lansdale, J: Wälder am Fluss - The Bottoms
Autoren: Joe R. Lansdale
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Und ich will auch nicht durch den Tunnel. Vielleicht ist das eine Falle, Harry. Es weiß bestimmt, dass wir in den Tunnel gehen, und es wartet am anderen Ende auf uns, wie dieses Wesen, von dem Daddy uns vorgelesen hat, halb Mensch, halb Kuh.«
    »Halb Mensch, halb Stier«, sagte ich. »Der Minotaurus.«
    »Ja. Vielleicht wartet es auf uns, Harry.«
    Daran hatte ich auch schon gedacht. »Aber wir müssen den Tunnel nehmen. Im Tunnel kann es uns immerhin nicht von allen Seiten kriegen, wie hier, sondern nur von hinten oder vorne.«
    »Können da nicht noch andere Tunnel sein?«
    Daran hatte ich nicht gedacht. Überall im Tunnel könnten weitere Öffnungen sein. Und an einer besonders engen Stelle des Tunnels wäre es ein Leichtes für jeden Menschen und jeden Minotaurus, einfach hineinzugreifen und Tom und mich herauszuziehen.
    »Ich nehme das Gewehr«, sagte ich. »Wenn du den Karren schieben kannst, kann Toby auf uns aufpassen, er wird uns schon wissen lassen, wenn wir in Gefahr sind. Wenn uns irgendwas angreift, schieße ich es mit dem Schrot in Stücke.«
    Ich nahm das Gewehr aus dem Karren und entsicherte es. Tom schwankte, als sie den Karren durch die Öffnung zwischen den dornigen Ästen bugsierte. Wir gingen los.

2.
    Der Duft der Rosen war überwältigend süß und dick, mir wurde ganz schlecht davon. Die Dornen zerrissen mein T-Shirt und zerkratzten uns Arme und Gesichter. Ich hörte Tom hinter mir leise fluchen.
    Der Tunnel zog sich hin. Irgendwann hörten wir ein Rauschen, das immer näher kam, dann weitete sich der Tunnel und wir standen am Ufer des Sabine River. »Jetzt weiß ich, wo wir lang müssen«, sagte ich. »Wir gehen den Fluss entlang. Das ist zwar die falsche Richtung, aber ich glaube, es ist nicht mehr weit zur Schwingenden Brücke. Da gehen wir rüber, und dann sind wir ziemlich schnell auf der Hauptstraße.«
    »Die Schwingende Brücke?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Glaubst du, Mama und Daddy machen sich Sorgen?«
    »Da kannst du drauf wetten«, sagte ich. »Ich hoffe, die Eichhörnchen besänftigen sie ein bisschen.«
    »Was machen wir mit Toby?«
    »Mal sehen«, sagte ich.
    Sehr dicht an der Uferböschung gab es einen kleinen Pfad.
    »Am besten, wir tragen Toby, dann holen wir den Karren. Du schiebst, und ich ziehe.«
    Vorsichtig hob ich Toby hoch, er jaulte leise, und Tom, die keine Zeit verlieren und später nicht noch einmal zurückgehen wollte, fing einfach an, den Karren allein zu schieben, und er fiel um und die Uferböschung hinunter, mit den Eichhörnchen, der Schaufel und dem Gewehr.
    »Verdammt, Tom«, sagte ich.
    »Tut mir leid«, sagte Tom, »er ist mir einfach aus den Händen gerutscht. Du hast geflucht. Das werd ich Mama erzählen.«
    »Das lässt du besser bleiben. Außerdem fluchst du auch die ganze Zeit.«
    Ich legte Toby in Toms Arme, sie musste ihn nehmen, bis ich unten einen Halt gefunden hätte. Ich rutschte die Uferböschung hinunter und landete neben einer riesigen Eiche direkt am Wasser. Die Hecke erstreckte sich bis hier herunter und hatte sich um den Baum geschlungen. Ich legte meine Hand an den Stamm, um Halt zu bekommen – und zog sie blitzartig wieder zurück. Was ich berührt hatte, war kein Stamm und auch keine Kletterpflanze. Es war etwas Weiches.
    Ich machte einen Schritt zurück und sah eine graue Masse, die in den Kletterpflanzen hing. Das Mondlicht fiel auf den Fluss und auf ein Gesicht, oder besser: auf etwas, das ein Gesicht gewesen war. Jetzt sah es aus wie eine Kürbislaterne, rund und aufgedunsen, mit schwarzen Löchern statt Augen. Ich sah ein nasses Bündel Haare auf dem Kopf, wie ein Knäuel schwarzer Schafswolle, ich sah einen Körper, der verdreht war, aufgequollen und nackt. Es war eine Frau.
    Ich hatte ein paar Postkarten mit nackten Frauen gesehen, George Sterning hatte sie mir gezeigt. Er kam immer mit solchem Zeug an. Sein Vater war ein Handlungsreisender, der nicht nur Schnupftabak verkaufte, sondern auch so genannte Raritäten wie diese Postkarten.
    Aber das hier war etwas ganz anderes. Die Postkarten hatten mich auf eine Weise berührt, die ich nicht verstand, sie hatten etwas in mir ausgelöst, das irgendwie schön, irgendwie angenehm gewesen war; das hier allerdings berührte mich auf eine Weise, die ich sofort verstand. Ihre Brüste waren aufgeplatzt wie Melonen in der Sonne. Als ich näher hinsah, bemerkte ich, dass nicht nur die Kletterpflanzen ihren zerschundenen Körper umschlangen, sondern dass sie mit Stacheldraht an den Baum
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