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Die Wälder am Fluss - Lansdale, J: Wälder am Fluss - The Bottoms

Die Wälder am Fluss - Lansdale, J: Wälder am Fluss - The Bottoms

Titel: Die Wälder am Fluss - Lansdale, J: Wälder am Fluss - The Bottoms
Autoren: Joe R. Lansdale
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umgaben, waren voller Wild, Käfern und Zecken. Damals gab es kein Forstamt, das uns erklärt hätte, was ein Wald braucht, um zu überleben, und da der Wald über Jahrhunderte ohne uns ausgekommen war, dachten wir, er würde auch weiterhin für sich selbst sorgen können. Und die Wälder gehörten damals auch nicht alle irgendwem, obwohl die Holzwirtschaft ein wichtiger Industriezweig war und ständig wuchs.
    Dennoch gab es immer noch mächtige Bäume und verwunschene Orte am schattigen Ufer des Flusses, die kein Mensch je betreten hatte.
    Es gab Wildschweine, Eichhörnchen, Kaninchen, Opossums, Waschbären, viele Gürteltiere, alle möglichen Vogelarten und zahllose Schlangen. Manchmal konnte man giftige Wasserschlangen im Fluss sehen, ihre teuflischen kleinen Köpfe schossen aus dem Wasser wie Beulen. Und wehe dem, der mitten in sie hineinfiel und glaubte, dass diese Schlangen unter Wasser nicht zubeißen könnten – sie können es nicht nur, sie tun es auch.
    Es gab auch Rehe, wenn auch nicht so viele wie jetzt, wo die Leute Rehe wie Mais anbauen und sie in der Jagdsaison während einer dreitägigen Volltrunkenheit ernten, indem sie sie von einem Hochsitz aus mit einem großkalibrigen Gewehr erledigen. Sie mästen sie, machen sie zutraulich wie Haustiere und halten sich für mutige Jäger, wenn sie sie abknallen. Es kommt sie viel teurer, ein Reh zu erschießen, es auf die Ladefläche zu wuchten, prahlerisch in der Gegend herumzufahren und das Geweih zu präparieren, als einfach in ein Geschäft zu gehen und ein paar Beefsteaks zu kaufen. Und dann gibt es auch noch die, die gern ihre Gesichter mit dem Blut des erlegten Rehs beschmieren und sich fotografieren lassen, als seien Rehe bis zu den Zähnen bewaffnete bestialische Gegner.
    Aber jetzt bin ich ins Predigen geraten; ich war eigentlich dabei, zu erzählen, wie wir lebten. Und von dem Wild in den Wäldern. Ich wollte vom Ziegenmann erzählen. Er war zur Hälfte ein Mann, zur Hälfte eine Ziege und lebte am Fluss, in der Nähe einer Brücke, die wir die Schwingende Brücke nannten. Bis zu der Zeit, von der ich erzählen will, hatte ich ihn nie gesehen – nur einmal, als ich nachts durch den Wald streifte, um Opossums zu jagen, hatte ich ihn heulen und seufzen hören, dort, in der Nähe der Brücke, die an dünnen Drahtseilen über dem Fluss schwebte und leise im Wind schaukelte; das Mondlicht spielte auf den Seilen wie Elfen mit Seidenfäden.
    Man sagte, dass der Ziegenmann Kinder und Tiere stehle. Ich hatte zwar nie gehört, dass er Kinder fraß, aber einige Bauern klagten, er habe ihr Vieh gestohlen, und ein paar meiner Freunde behaupteten, der Ziegenmann habe ihre Cousins geraubt und sie seien niemals zurückgekehrt. Es hieß, der Ziegenmann wage sich nie weiter vor als bis zur Hauptstraße, weil dort regelmäßig Baptistenprediger entlangwanderten oder -fuhren und die Straße mit ihrer Präsenz weihten. Wir nannten sie die Straße der Prediger. Man sagte, der Ziegenmann komme aus der sumpfigen Gegend des Flusses nicht heraus, denn trockenes Land sei etwas, das er nicht ertrage. Der Ziegenmann, hieß es, brauche den feuchten, dicken Matsch aus Erde und Blättern unter seinen Füßen, die eigentlich Hufe waren.
    Daddy behauptete, der Ziegenmann sei nichts weiter als ein Ammenmärchen. Er meinte, das, was ich des Nachts an der Schwingenden Brücke gehört hätte, seien bloß die üblichen Laute irgendwelcher Tiere gewesen – aber es waren Laute gewesen, die einem Schauer über den Rücken trieben und an das Klagen einer tödlich verwundeten Ziege erinnerten. Mr. Cecil Chambers, der im Friseurladen meines Vaters arbeitete, sagte, es sei vielleicht ein Panther gewesen, »Panther können schreien wie Frauen«, sagte er.
    Ich und meine Schwester Tom – na ja, Thomasia, aber wir nannten sie alle Tom, weil es kürzer und meine Schwester ein halber Junge war – Tom und ich trieben uns von morgens bis abends in den Wäldern herum. Das war nicht unüblich zu der Zeit. Die Wälder waren für uns wie ein zweites Zuhause.
    Wir hatten einen Hund, Toby, eine Mischung aus einem Jagdhund und einem Terrier. Toby war unschlagbar beim Jagen. Aber im Sommer 1933, als Toby um einen Baum herumsprang und bellte, weil er ein Eichhörnchen aufgestöbert hatte, fiel ein morscher Ast auf ihn, der ihn so hart traf, dass er weder seine Hinterbeine noch seinen Schwanz mehr bewegen konnte. Ich trug ihn auf den Armen nach Hause; er jaulte, und Tom und ich weinten.
    Daddy war gerade mit
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